Shantaram
Andheri. Dort kennen mich alle. Wenn ich etwas für Sie tun kann, egal was, sagen Sie einfach Bescheid. Ich möchte mich erkenntlich zeigen für das, was Sie für mich getan haben, Lin Ford. Sie können mich jederzeit erreichen, Tag und Nacht.«
Ich nahm seine Visitenkarte entgegen – auf der nur sein Name und seine Telefonnummer stand – und schüttelte erneut seine Hand. Nachdem ich Rahim zugenickt hatte, stieg ich aus.
»Danke, Lin!«, rief Hassan mir durch das offene Fenster nach. »Inshallah werden wir uns bald wiedersehen.«
Das Auto fuhr davon, und ich machte mich auf den Weg zum Slum. Im Gehen starrte ich noch eine Weile auf die goldene Schrift und steckte die Karte dann in die Tasche. Ich hatte das World Trade Center bereits hinter mir gelassen und betrat den Slum. Auch heute erinnerte ich mich unwillkürlich daran, wie sich mir diese gesegnete und geplagte Welt zum ersten Mal geöffnet hatte.
Als ich an Kumars Chai-Laden vorbeiging, kam Prabaker heraus, um mich zu begrüßen. Er trug ein gelbes Seidenhemd, eine schwarze Hose und schwarzrote Lacklederschuhe mit Plateausohlen und hatte ein dunkelrotes Seidentuch um den Hals gebunden.
»Oh Lin!«, rief er, wackelte auf seinen Plateausohlen über den unebenen Boden und hielt sich an mir fest, was wohl ebenso auf Freundschaft zurückzuführen war wie auf die Tatsache, dass er das Gleichgewicht nicht verlieren wollte. »Ist da ein jemand, ein solche Bursche, den du kennst. Wartet er in deine Hütte auf dich. Aber wartest du mal kurz, bitte, was ist da passiert auf dein Gesicht? Und mit das dein Hemd? Hast du gehabt ein Kampf mit ein übler Bursche? Arrey! Hat er dich jemand viel stark verdroschen. Wenn du willst, ich gehe mit dich und sage dieser Bursche, dass er ist ein bahinchudh.«
»Schon gut, Prabu, nicht der Rede wert«, murmelte ich und marschierte weiter in Richtung meiner Hütte. »Weißt du, wer es ist?«
»Wer es … ist? Meinst du, wer dich hat gehauen auf dein Gesicht?«
»Nein, natürlich nicht. Ich meine den Mann, der in meiner Hütte auf mich wartet. Kennst du den?«
»Ja, Lin«, sagte er, während er neben mir herstolperte und sich an meinem Hemd festhielt.
Wir gingen einen Moment lang schweigend weiter. Von allen Seiten grüßten uns Leute, luden uns ein, mit ihnen Tee zu trinken, zu essen, etwas zu rauchen.
»Und?«, fragte ich schließlich.
»Und? Was und?«
»Na ja, wer ist es? Wer ist in meiner Hütte?«
»Aha ja so!« Er lachte. »Tut mich leid, Lin. Hab ich gedacht, willst du Überraschung, und hab ich nichts verraten dafür.«
»Eine Überraschung kann es ja jetzt wohl kaum mehr sein, Prabu, du hast mir doch schon gesagt, dass jemand in meiner Hütte auf mich wartet.«
»Nein, nein!«, hielt er dagegen. »Weißt du nicht den sein Name. Hast du also immer noch prima gute Überraschung. Ist das prima Sache so, weil: wenn ich gar nichts sage, dass da ist ein jemand, gehst du zu die deine Hütte und kriegst du großer Schock. Und ist das ein schlechte Sache. Weil ist der Schock wie eine Überraschung, wenn du bist nicht vorbereitet.«
»Schönen Dank, Prabu«, sagte ich, doch mein Sarkasmus verpuffte noch im selben Moment.
Er hätte sich gar nicht bemühen müssen, mir den Schock zu ersparen – je näher ich zu meiner Hütte kam, desto häufiger wurde ich von meinen Nachbarn davon in Kenntnis gesetzt, dass ein Fremder auf mich wartete. Hallo, Linbaba! Bei dir zu Hause sitzt ein Gora und wartet auf dich!
Als wir bei mir ankamen, saß Didier im Schatten der Tür auf einem Hocker und fächelte sich mit einer Zeitschrift Luft zu.
»Ist es Didier«, teilte mir Prabaker fröhlich grinsend mit.
»Ja, Prabu. Danke.« Ich wandte mich Didier zu, der aufstand, um mir die Hand zu geben. »Das ist ja eine Überraschung. Schön, dich zu sehen.«
»Schön, dich zu sehen, lieber Freund«, erwiderte Didier und lächelte trotz der gnadenlosen Hitze. »Aber um ehrlich zu sein, siehst du ein bisschen mitgenommen aus, wie Lettie es ausdrücken würde.«
»Nicht der Rede wert. Ein kleines Missverständnis. Wenn du kurz wartest, mache ich mich schnell frisch.«
Ich zog das zerrissene blutverschmierte Hemd aus und goss Wasser aus einer Ton-Matka in einen Eimer, bis er zu einem Drittel gefüllt war. Auf den aufgeschichteten Steinen neben meiner Hütte stehend, wusch ich mir Gesicht, Arme und Brust. Vorbeigehende Nachbarn lächelten mich an, wenn unsere Blicke sich trafen. Diese Waschtechnik, die keinen Tropfen Wasser verschwendete und kaum
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