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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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auftauchen, deshalb wäre es mir lieb, wenn du sie in Erinnerung behieltest.«
    »Und was ist mit Devisen?«, fragte ich und nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch von mir weg und wieder zu den Regeln seines moralischen Universums zu lenken. »Fallen Devisen nicht unter die Rubrik ›sündhafte Verbrechen‹?«
    »Nein. Die Devisen nicht«, sagte er bestimmt. Der dunkle schwingende Klang seiner sonoren Stimme stieg tief aus dem Bauch auf und entfaltete seine volle Kraft in der Brust. Und auch wenn Khader über seine gewinnträchtigen kriminellen Aktivitäten sprach, lag in dieser Stimme der beschwörend fromme Tonfall eines Predigers, der aus dem Koran rezitiert.
    »Und der Goldschmuggel?«
    »Nein. Weder Gold noch Pässe, noch Einflussnahme.«
    Einflussnahme war Khaders Euphemismus für die gesamte Bandbreite von Beziehungen zwischen seinem Mafia-Klan und der Gesellschaft, innerhalb der sie florierte. Diese Einflussnahme begann mit Bestechung aller Art, von Insidergeschäften bis zur Beschaffung lukrativer öffentlicher Aufträge. Wo Bestechungsversuche nichts einbrachten, regelte Khader das Geschäftsleben in seinem Machtbereich durch Schulden- und Schutzgeldeintreibung. Auch Einschüchterungsmethoden durch Gewalt und Erpressung, die sowohl aufsässige Bürokraten als auch Politiker trafen, gehörten zu Khaders Art der Einflussnahme.
    »Woran erkennt man, inwieweit ein Verbrechen eine Sünde ist? Wer bestimmt das?«
    »Die Sünde ist eine Maßeinheit des Bösen«, erwiderte er und lehnte sich zurück, damit der Kellner seinen Teller abräumen und die Krümel vom Tisch wischen konnte.
    »Okay. Aber woran erkennt man, ob ein Verbrechen böse ist? Wer bestimmt das?«
    »Wenn du wirklich mehr über Gut und Böse erfahren willst, dann machen wir einen Spaziergang und unterhalten uns noch ein wenig.«
    Er stand auf, und Nasir, sein ständiger Begleiter, erhob sich wie sein Schatten und folgte ihm zu dem Waschbecken mit Spiegel, das in einer Nische in der Rückwand des Restaurants angebracht war. Die beiden wuschen sich Hände und Gesicht, zogen lautstark den Schleim aus der Lunge hoch und spuckten ihn geräuschvoll ins Waschbecken – wie alle Inder, nachdem sie eine Mahlzeit beendet haben. Als auch ich mit Waschen, Schleimhochziehen und Spucken fertig war und aus dem Restaurant trat, unterhielt sich Khaderbhai auf dem Gehweg gerade mit dem Besitzer des Saurabh. Zum Abschied umarmte der Besitzer Khader und bat ihn um seinen Segen. Der Mann war Hindu und trug noch das Segenszeichen auf der Stirn, das er vor wenigen Stunden im Tempel erhalten hatte. Doch als Khaderbhai die Hände des Mannes in seinen eigenen hielt und leise einen muslimischen Segen murmelte, reagierte der fromme Hindu mit Freude und Dankbarkeit.
    Khader und ich schlenderten wieder Richtung Colaba. Der stämmige, affenähnliche Nasir folgte uns mit finsterer Miene in etwa einem Meter Abstand. Beim Sassoon Dock überquerten wir die Straße und gingen durch das Tor am Haupteingang der alten Hafenanlage. Der Geruch der rosa Garnelen, die bergeweise in der Sonne trockneten, drehte mir fast den Magen um, doch als das Meer in Sicht kam, verlor sich der Gestank in der kräftigen Brise. Näher am Hafenbecken schlängelten wir uns durch Scharen von Männern mit Handkarren und Frauen mit Körben auf dem Kopf, die in zerstoßenes Eis gebetteten Fisch transportierten. Kleine Fabriken, die das Eis produzierten und den Fisch verarbeiteten, trugen neben den Händlern und Versteigerern zum allgemeinen betriebsamen Getöse bei. Am Kai lagen zwanzig große hölzerne Fischerboote im selben Baustil wie die Schiffe, die schon vor fünfhundert Jahren das Arabische Meer vor der Küste Maharashtras befahren hatten. Hie und da war auch ein größeres, teureres Schiff mit eisernem Rumpf zu sehen. Der auffällige Widerspruch zwischen diesen rostigen uneleganten Gebilden und den anmutigen Holzbooten kündete von der Geschichte der Welt, der Historie der Moderne, in der man sich vom Leben auf See als romantischer Berufung zur kalten seelenlosen Profitgier bewegt hatte.
    Wir setzten uns auf eine Bank in einem ruhigen, schattigen Eckchen des Hafengeländes, wo die Fischer manchmal Pause machten und zusammen aßen. Khader blickte auf die vertäuten Schiffe, die auf den plätschernden Wellen schaukelten.
    Sein kurzes Haar und sein Bart waren fast weiß. Die straffe, makellose Gesichtshaut war gebräunt und hatte die Farbe sonnengereiften Weizens. Ich betrachtete sein Gesicht – die

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