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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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angefangen …«
    Ich verstummte und schwieg einen Moment. Ein Kellner kam an unseren Tisch, um abzuräumen, doch Khader winkte ihn fort. Er sah mich mit seinen goldenen Augen unverwandt an, und dieser Blick war mitfühlend und ermutigend.
    »Als ich gegangen bin – aus dem Büro des Philosophen, dort an der Uni –, wusste ich, dass sich durch dieses kurze Gespräch alles verändert hatte. Ich ging zu der Motorradgang und meinem Freund zurück, hab ihm meine Waffen gegeben und gesagt, dass ich wegmuss. Und dann bin ich allein losgezogen. Er ist ein halbes Jahr später gefasst worden, nach einer Schießerei mit den Bullen. Ich bin immer noch frei, sofern dieses Wort irgendeine Bedeutung hat, wenn man gesucht wird und keine Zuflucht hat. Jetzt kennst du die ganze Geschichte.«
    »Ich würde diesen Mann gerne kennen lernen«, sagte Khaderbhai langsam. »Diesen Philosophieprofessor. Er hat dich sehr gut beraten. Aber sag mal, wenn ich recht informiert bin, herrschen in Australien doch ganz andere Verhältnisse als in Indien – warum gehst du nicht zurück und setzt die Behörden davon in Kenntnis, dass du im Gefängnis gefoltert worden bist? Könntest du so nicht gefahrlos zu deinem dortigen Leben und deiner Familie zurückkehren?«
    »Da, wo ich herkomme, verpfeift man andere Leute nicht«, antwortete ich, »nicht einmal Folterer. Und selbst wenn ich es täte – wenn ich zurückginge, als Kronzeuge aufträte und gegen die Wachteln aussagen würde, die Gefangene foltern –, wäre das keine Garantie, dass sie tatsächlich aufhören. Das System würde sich ihrer schon annehmen. Niemand, der bei klarem Verstand ist, traut dem britischen Strafvollzugssystem. Wann hast du zum Beispiel das letzte Mal gehört, dass sich ein Reicher einem Gericht auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert hätte? Das gibt es einfach nicht. Das System würde sich der Folterer annehmen, und die würden damit durchkommen, egal was sie getan haben und wie erdrückend das Beweismaterial ist. Und ich würde wieder im Gefängnis landen. Ich wäre ihnen wieder preisgegeben. Und die würden mich übel zurichten … Ich glaube … Ich glaube, diesmal würden sie mich im Straftrakt zu Tode treten. Aber wie gesagt, diese Option besteht sowieso nicht. Man bringt andere Leute nicht in den Knast. Man verpfeift andere nicht, egal aus welchem Grund. Das ist ein Prinzip. Es ist wahrscheinlich das Einzige, das uns bleibt, wenn wir hinter Gitter gesperrt werden.«
    »Aber du glaubst, dass diese Gefängniswärter immer noch andere Gefangene foltern, so wie sie dich gefoltert haben?«, hakte er nach.
    »Ja, das glaube ich.«
    »Und du bist in einer Position, in der du etwas dagegen unternehmen könntest, in der du versuchen könntest, das Leid der Opfer zu mildern?«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass das System es besonders eilig hätte, die Folterer vor Gericht zu stellen oder zu unserer Verteidigung zu schreiten.«
    »Aber es besteht die Möglichkeit, zumindest die Möglichkeit, dass man auf dich hören und der Folterung der anderen Männer ein Ende setzen würde?«
    »Die Möglichkeit besteht, aber ich glaube, sie ist schwindend gering.«
    »Aber es gibt sie?«, hakte er nach.
    »Ja«, sagte ich knapp.
    »Könnte man also sagen, dass du in gewisser Weise für das Leid der anderen Männer verantwortlich bist?«
    Die Frage war beleidigend, doch Khaderbhais Tonfall war sanft und mitfühlend. Ich sah ihm in die Augen und war mir sicher, dass er mich weder beleidigen noch mir wehtun wollte. Schließlich war er derjenige gewesen, der mich aus dem indischen Gefängnis und indirekt auch aus dem australischen Gefängnis befreit hatte, über das wir gerade sprachen.
    »Ja, das könnte man sagen«, antwortete ich ruhig. »Aber das ändert nichts an dem Prinzip. Man verrät andere Menschen nicht – egal aus welchem Grund.«
    »Ich versuche nicht, dich in eine Falle zu locken, Lin, oder dich auszutricksen. Aber du wirst mir anhand dieses Beispiels zustimmen, dass es grundsätzlich möglich ist, aus dem richtigen Grund etwas Falsches zu tun.« Er lächelte zum ersten Mal, seit ich mit meiner Geschichte begonnen hatte. »Dieses Thema wird uns irgendwann noch länger beschäftigen. Ich habe es aber jetzt angesprochen, weil es ein sehr wichtiger Aspekt der Frage ist, wie wir unser Leben leben und wie wir es leben sollten. Wir müssen jetzt nicht weiter darüber reden, aber diese Frage wird zweifellos in einem anderen Gespräch wieder

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