Shantaram

nicht verstehen konnten, aber sie blieben bei uns sitzen und betrachteten konzentriert sein Gesicht.
    »Also, noch einmal – das Universum, so wie wir es kennen, ist nach unserem heutigen Wissensstand seit seinem Ursprung immer komplexer geworden. Und zwar, weil das in seinem Wesen liegt. Die Tendenz zur Verknüpfung und Verdichtung hat das Universum von nahezu absoluter Einfachheit zu der Komplexität gebracht, von der wir heute umgeben sind. Dieser Prozess setzt sich permanent fort. Das Universum bewegt sich unentwegt vom Einfachen zum Vielschichtigen.«
    »Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst.«
    Khader lachte. Die Fischer stimmten ein.
    »Das Universum«, fuhr er fort, »das Universum, das wir kennen, wird seit rund fünfzehn Milliarden Jahren immer komplexer. In einer weiteren Milliarde Jahren wird es noch weitaus komplexer sein als es heute bereits ist. Und stell es dir erst in fünf Milliarden, in zehn Milliarden Jahren vor … Aber es wird nicht nur immer vielschichtiger – es bewegt sich auch auf etwas zu – auf eine Art ultimative Komplexität. Wir werden vielleicht nicht dort hingelangen. Vielleicht wird auch kein Wasserstoffatom, kein Blatt, kein Mensch, kein Planet dort hingelangen, zu dieser ultimativen Komplexität. Aber wir bewegen uns alle darauf zu – alles im Universum bewegt sich darauf zu. Und diese endgültige Komplexität, das, worauf wir uns alle zubewegen, ist das, was ich als Gott bezeichne. Wenn dir dieses Wort, Gott, nicht gefällt, kannst du auch von der ultimativen Komplexität sprechen. Doch wie auch immer man es nennen mag, das Universum bewegt sich darauf zu.«
    »Ist das Universum nicht viel willkürlicher, als du es beschreibst?«, fragte ich, denn ich ahnte, worauf seine Argumentation abzielte, und wollte ihm zuvorkommen. »Was ist zum Beispiel mit riesigen Asteroiden? Wir, ich meine, unser Planet könnte doch von einem riesigen Asteroiden zertrümmert werden. Es gibt eine statistische Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann zu größeren Einschlägen kommen wird. Und wenn unsere Sonne erlischt – was sie irgendwann tun wird –, ist das dann nicht das Gegenteil von Komplexität? Wenn dieser ganze komplexe Planet zertrümmert wird und unsere Sonne erlischt, wie passt das dann zu der stetigen Entwicklung, von der du gerade gesprochen hast, einer Entwicklung zu immer größerer Komplexität?«
    »Eine gute Frage«, entgegnete Khaderbhai. Er lächelte fröhlich und entblößte dabei seine leicht auseinanderstehenden, elfenbeinfarbenen Zähne. Er genoss unsere Diskussion sichtlich, und mir wurde bewusst, dass ich ihn noch nie so angeregt und begeistert erlebt hatte. Er gestikulierte immer wieder lebhaft, um etwas zu veranschaulichen oder zu betonen. »Unser Planet kann zertrümmert werden, das ist richtig, und unsere wunderbare Sonne wird irgendwann erlöschen. Und, soweit wir wissen, sind wir Menschen, zumindest in unserem Teil des Universums, der am weitesten entwickelte Ausdruck dieser Komplexität. Es wäre auf jeden Fall ein großer Verlust, wenn wir vernichtet würden. Es wäre eine schreckliche Vergeudung dieser ganzen Entwicklung. Aber der Prozess an sich würde weitergehen. Wir selbst sind Ausdruck dieses Prozesses. Unsere Körper sind die Kinder all der Sonnen und der anderen Sterne vor unserer Zeit, die explodiert sind und Atome hervorgebracht haben, aus denen wir bestehen. Und wenn wir eines Tages vernichtet würden, sei es durch einen Asteroiden oder von eigener Hand, nun, dann würde irgendwo anders im Universum das Ausmaß an Komplexität, das wir erreicht haben, unser Ausmaß an Komplexität, reproduziert werden, inklusive eines Bewusstseins, das imstande ist, den Prozess zu begreifen. Womit ich nicht unbedingt Menschen meine, die so sind wie wir. Ich meine damit, dass sich irgendwo anders im Universum denkende Wesen entwickeln würden, die so komplex wären wie wir. Uns würde es nicht mehr geben, aber der Prozess an sich würde weitergehen. Vielleicht findet diese Entwicklung sogar jetzt gerade, während wir darüber reden, in Millionen von anderen Welten statt. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass dem so ist, denn das liegt nun mal im Wesen des Universums.«
    Jetzt war es an mir zu lachen.
    »Okay, okay. Und du willst damit sagen – lass mich raten –, dass alles, was diesen Prozess unterstützt, gut ist, stimmt’s? Und alles, was in die andere Richtung führt, ist nach deiner Sichtweise böse, na ?«
    Khaderbhai blickte mich unverwandt an und