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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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lange, feine Nase, die weite Stirn, die geschwungenen Lippen – und fragte mich, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, ob meine Liebe zu ihm mich irgendwann das Leben kosten würde. Nasir stand, wachsam wie immer, in unserer Nähe und ließ mit einer bitterbösen Miene, die nichts gelten ließ außer dem Mann, dem er diente, den Blick über das Hafengelände schweifen.
    »Die Geschichte des Universums ist eine Geschichte der Bewegung«, begann Khader, den Blick nach wie vor auf die Boote gerichtet, die zu nicken schienen wie zusammengeschirrte Pferde. »Das Universum, das wir kennen – dieser eine seiner vielen Lebenszyklen –, begann mit einer Ausdehnung, die so gewaltig und abrupt war, dass wir zwar darüber sprechen, sie aber niemals wirklich verstehen oder uns auch nur annähernd vorstellen können. Die Wissenschaftler nennen diese Ausdehnung den Urknall, obwohl es keine Explosion im Sinne einer Bombe oder etwas Ähnlichem war. Und vom ersten Moment an, schon in den ersten Bruchteilen von Attosekunden nach dieser gewaltigen Expansion, ähnelte das Universum einer reichhaltigen Suppe, die sich aus winzigen, sehr einfachen Bestandteilen zusammensetzte. Diese Bestandteile waren noch weit einfacher als Atome. Mit fortschreitender Ausdehnung und Abkühlung des Universums setzten sich diese winzigen Bestandteile zu Partikeln zusammen. Aus den Partikeln bildeten sich die ersten Atome, die sich wiederum zu Molekülen zusammenfügten. Aus den Molekülen wurden die ersten Sterne, die ihre Zyklen durchliefen und schließlich explodierten, sodass eine Unmenge neuer Atome entstanden. Aus diesen neuen Atomen bildeten sich neue Sterne und neue Planeten. Das Material, aus dem wir geschaffen sind, stammt von diesen sterbenden Sternen. Du und ich, kann man also sagen, bestehen aus Sternen. Stimmst du mir so weit zu?«
    »Sicher.« Ich lächelte. »Ich weiß zwar noch nicht, worauf du hinauswillst, aber, doch, so weit, so gut.«
    »Genau!«, erwiderte er lachend. »So weit, so gut ! Du kannst die wissenschaftlichen Fakten, die ich hier referiere, gern überprüfen – ich möchte sogar, dass du alles, was ich sage, überprüfst – wie übrigens auch alles andere, was du lernst, von wem auch immer. Ich bin mir aber sicher, dass diese Fakten stimmen – nach unserem heutigen Wissensstand zumindest. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit unter der Anleitung eines jungen Physikers mit diesen Dingen, und der wissenschaftliche Sachverhalt ist so weit korrekt.«
    »Da bin ich aber froh«, sagte ich lachend, doch ich meinte es ernst – ich war froh, mit Khader zusammen zu sein und in den Genuss seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu kommen.
    »Aber lass mich zum Punkt kommen: Nichts von alledem, keiner dieser Prozesse, keine dieser Koinzidenzen ist ein Zufallsereignis. Das Universum hat ein eigenes Wesen, einen ganz eigenen, aus ihm selbst hervorgehenden Charakter – ähnlich wie der Charakter des Menschen, wenn du so willst. Und dieser Charakter äußert sich in seinem grundsätzlichen Streben, Einzelnes zusammenzufügen, Bestehendes auszubauen, immer komplexer zu werden. Das geschieht immer. Unter den richtigen Umständen fügen sich einzelne Materieteilchen immer zusammen und bilden komplexere Arrangements. Und dieses Grundprinzip unseres Universums, die Entwicklung hin zu einer Ordnung und das Zusammenfügen von bereits Geordnetem, hat einen Namen: In der westlichen Naturwissenschaft spricht man von der Tendenz zur Komplexität. Sie stellt das Grundprinzip unseres Universums dar.«
    Drei Fischer in Lungis und Unterhemden näherten sich uns schüchtern. Einer trug zwei Drahtkörbe mit mehreren Gläsern Chai und Wasser, ein anderer einen Teller mit süßen Laddus. Der dritte Mann hatte ein Chillum und zwei Klümpchen Charras auf seiner ausgestreckten Handfläche liegen.
    »Möchten Sie einen Tee, Sir?«, fragte einer der Männer höflich auf Hindi. »Würden Sie mit uns rauchen?«
    Khader lächelte und wiegte den Kopf. Die Männer traten rasch vor und reichten Khader, Nasir und mir je ein Glas Tee. Dann kauerten sie sich vor uns hin und bereiteten das Chillum vor. Khader wurde die Ehre zuteil, die Pfeife anzuzünden, und ich zog als Zweiter. Die Pfeife ging zweimal herum, dann war sie leer geraucht. Der Mann, der den letzten Zug genommen hatte, drehte sie um und stieß zusammen mit der blauen Rauchwolke das Wort kalaass aus, fertig.
    Khader unterhielt sich weiter auf Englisch mit mir. Ich war mir sicher, dass die Männer ihn

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