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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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die Planeten und Sterne zu studieren, um Sinn und Wahrheit zu finden.«
    »Trotzdem muss ich fragen: Warum nimmst du dir gerade diese Tatsache als Grundlage für deine Moraldefinition? Warum die Tendenz zur Komplexität? Warum nicht irgendeine andere? Ist das nicht doch wieder willkürlich? Eine Frage der persönlichen Entscheidung also und damit nicht objektiv? Ich will mich nicht dumm stellen oder so – ich finde wirklich, dass das ziemlich willkürlich ist.«
    »Ich kann deine Zweifel nachvollziehen«, sagte Khaderbhai lächelnd und ließ den Blick einen Moment lang zum Meereshorizont schweifen. »Auch ich war zunächst sehr skeptisch, als ich anfing, in diese Richtung zu denken. Aber mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass es keine bessere Weise gibt, um Gut und Böse zu definieren – wenigstens jetzt. Das soll nicht heißen, dass diese Definition immer die beste bleiben wird. Auch was die Definition des Meters betrifft, wird es irgendwann eine neue, wiederum leicht verbesserte Lösung geben. Immerhin basiert die derzeit bestmögliche Definition auf der Entfernung, die ein Lichtphoton in einem Vakuum zurücklegt – so als würde in einem Vakuum nichts geschehen. Dabei wissen wir, dass in einem Vakuum alles Mögliche vor sich geht. In einem Vakuum finden ständig zahlreiche Reaktionen statt. Ich bin mir sicher, dass man irgendwann noch eine bessere Möglichkeit finden wird, um den Meter zu definieren. Im Moment allerdings ist die gültige Definition die beste. Und was die Moral betrifft, so ist die Tendenz zur Komplexität – die Tatsache also, dass das Universum stets zu größerer Komplexität strebt und gestrebt hat – unsere beste Grundlage, um objektiv Gut und Böse zu definieren. Wir nutzen diese Tatsache und nicht irgendeine andere, weil sie die umfassendste Tatsache ist, die wir kennen. Es ist die einzige, die für das gesamte Universum gilt, und zwar während seiner gesamten Geschichte. Wenn du mir eine bessere Möglichkeit nennen kannst, um Gut und Böse objektiv zu definieren, wenn du einen besseren Ansatz hast, der alle Menschen, alle Glaubensrichtungen und die Geschichte des Universums mit in die Definition einbezieht, dann würde ich den sehr, sehr gerne hören.«
    »Okay. Okay. Das Universum bewegt sich also auf Gott oder eine Art ultimative Komplexität zu. Und alles, was dazu beiträgt, ist gut. Alles, was diese Entwicklung behindert, ist böse. Trotzdem bleibt da noch die Frage, wer das Böse beurteilt. Woher wissen wir, was gut oder böse ist? Woran erkennen wir, ob das, was wir tun, der Entwicklung zur Komplexität förderlich oder abträglich ist?«
    »Eine gute Frage«, sagte Khader, während er aufstand und seine weite Leinenhose und das knielange weiße Baumwollhemd glattstrich. »Mehr noch: Es ist auch die richtige Frage. Und zum richtigen Zeitpunkt werde ich dir eine gute Antwort darauf geben.«
    Er wandte sich den drei Fischern zu, die sich mit ihm erhoben hatten und aufmerksam warteten. Einen Moment lang gefiel ich mir in der Vorstellung, dass ich ihn um eine Antwort verlegen gemacht hätte. Doch diese hochmütige Hoffnung verpuffte, als ich beobachtete, wie er mit den barfüßigen Fischern sprach. In seinen Äußerungen lag eine so apodiktische Gewissheit, er strahlte ein so entschiedenes, unerschütterliches Selbstvertrauen aus, dass selbst sein Schweigen davon kündete. Ich wusste, dass es sehr wohl eine Antwort auf meine Frage gab. Und ich wusste, dass er sie mir geben würde, sobald er den Zeitpunkt für gekommen hielt.
    Da ich neben ihm stand, hörte ich die Unterhaltung mit. Khader fragte die Männer, ob sie irgendwelche Klagen hätten, ob die Armen in den Dockanlagen schikaniert und unterdrückt würden. Als sie das verneinten, fragte er sie, wie viel Arbeit es zurzeit gebe und ob diese gerecht unter den Bedürftigsten verteilt sei. Als sie ihn auch in dieser Hinsicht beruhigt hatten, fragte er sie nach ihren Familien, ihren Kindern. Zum Schluss sprachen sie von der Arbeit auf den Fischerbooten des Sassoon Dock. Sie erzählten ihm von den riesigen Sturmwellen, den zerbrechlichen Booten, den Freunden, die sie auf See gewonnen, und den Freunden, die sie auf See verloren hatten. Er erzählte ihnen von seiner einzigen Fahrt mit einem der langen hölzernen Fischerboote, bei heftigem Sturm auf hoher See. Er habe sich an einen Mast gebunden und inbrünstig gebetet, bis Land in Sicht gekommen war. Sie lachten und versuchten dann, zum Abschied respektvoll seine Füße zu

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