Shantaram
kam mir nicht bekannt vor, berührte mich aber zutiefst in seiner Leidenschaft und Intensität. Als die letzten Takte der aufwühlenden, herzzerreißenden Musik verklungen waren, umgab uns eine unruhige Stille, die den Geräuschen von der Straße und aus den anderen Wohnungen im Haus zu trotzen schien.
»Weißt du, wer das war?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Ja. Die Blinden Sänger, oder?«
»So ist es«, sagte er in seinem klangvollen Englisch, jener Mischung aus indischer Sprachmelodie und BBC-Sprache, die ich sehr gerne hörte. »Ich liebe ihre Musik, Lin, mehr als jede andere, die ich kenne, aus welcher Kultur auch immer. Aber in meinem tiefsten Inneren, das muss ich gestehen, macht sie mir Angst, diese Musik. Jedes Mal, wenn ich sie höre – jeden Tag – ist mir, als würde ich mein eigenes Requiem hören.«
Er hatte sich immer noch nicht zu mir umgedreht, und ich blieb weiter in der Mitte des langen Raums stehen.
»Das muss ganz schön … beunruhigend sein.«
»Beunruhigend …«, wiederholte er leise. »Ja. Ja, es ist beunruhigend. Sag, Lin, glaubst du, dass ein echter Geniestreich es rechtfertigt, alle Fehler und Pannen zu entschuldigen, die ihn überhaupt möglich gemacht haben?«
»Hm … schwer zu sagen. Ich weiß nicht genau, wie du das meinst, aber ich denke, es hängt davon ab, wie viele Menschen davon profitieren und wie viele Menschen dafür leiden mussten.«
Jetzt wandte er sich mir zu, und ich sah, dass er weinte. Die Tränen rannen unablässig aus seinen großen Augen über seine Pausbacken und tropften auf sein langes Seidenhemd. Doch seine Stimme war ruhig und gefasst.
»Wusstest du, dass unser Madjid gestern Nacht ermordet wurde?«
»Nein«, antwortete ich erschrocken. »Ermordet?«
»Ja. Getötet. Abgeschlachtet wie ein Tier, in seinem eigenen Haus. Sein Körper wurde in Stücke gerissen, die sie über das ganze Haus verteilt haben. Mit seinem Blut haben sie den Namen ›Sapna‹ an die Wand geschmiert. Die Polizei geht davon aus, dass die Mörder fanatische Sapna-Anhänger waren. Es tut mir leid, Lin. Bitte entschuldige, dass ich weine, aber diese schlimme Sache nimmt mich ziemlich mit.«
»Kein Problem. Ich … ich komme einfach ein andermal wieder.«
»Nein, lass nur. Jetzt bist du schon hier, und Khader möchte, dass du so schnell wie möglich anfängst. Wir trinken Tee, ich nehme mich zusammen, und dann schauen wir uns an, was es mit dem Passgeschäft so auf sich hat.«
Er trat an seine Stereoanlage und nahm die Kassette mit der Musik der Blinden Sänger aus dem Rekorder. Nachdem er sie in eine goldene Plastikschachtel geschoben hatte, drückte er sie mir in die Hand.
»Das möchte ich dir schenken«, sagte er. »Ich glaube, ich sollte sie jetzt nicht mehr hören. Und ich bin sicher, dass sie dir gefallen.«
»Danke«, murmelte ich, durch das Geschenk nicht minder verwirrt wie durch die Nachricht von Madjids Tod.
»Keine Ursache. Komm, setz dich zu mir, Lin. Du warst in Goa, habe ich gehört? Kennst du unseren jungen Kämpfer Andrew Ferreira? Ja? Dann weißt du auch, dass er aus Goa kommt. Er fährt oft mit Salman und Sanjay dorthin, wenn ich Arbeit für sie habe. Irgendwann müsst ihr mal zusammen hinfahren – die drei werden dir die besonderen Sehenswürdigkeiten zeigen, du weißt schon … Erzähl, wie war deine Reise?«
Ich antwortete ihm, doch so sehr ich mich auf unsere Unterhaltung zu konzentrieren versuchte – ständig kamen mir Gedanken an Madjid, den toten Madjid, in die Quere. Ich konnte nicht behaupten, dass ich den Mann gemocht oder ihm getraut hätte. Dennoch war sein Tod ein Schock für mich, und seine Ermordung erfüllte mich mit einer seltsamen, ruhelosen Erregung. Madjid war in dem Haus in Juhu ermordet worden – abgeschlachtet, hatte Abdul gesagt –, in dem er mich unterrichtet hatte. In dem Haus, in dem er mir beigebracht hatte, was ich über Gold und die dazugehörigen Verbrechen wissen musste. Ich dachte an das Haus, erinnerte mich an den Blick aufs Meer, den Swimmingpool mit den lila Kacheln, den kahlen, hellgrünen Gebetsraum, in dem Madjid fünfmal am Tag seine alten Knie gebeugt und mit seinen buschigen grauen Augenbrauen den Boden berührt hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich vor diesem Raum in der Nähe des Pools gesessen und auf ihn gewartet hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf das lilafarbene Wasser geblickt hatte, während die gemurmelten Silben des Gebets an mir vorbeizogen, zu den schwankenden Wedeln der über den
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