Shantaram
achten. Und wenn du ehrlich bist, würdest auch du mich nicht mehr achten. Deshalb frage ich dich noch einmal: Was soll das alles?«
»Ich … kann nicht.«
»Du meinst, du willst nicht.«
»Ich meine, dass ich es dir nicht sagen kann«, sagte sie leise, und dann sah sie mir direkt in die Augen. »Und dass ich es dir nicht sagen werde. So ist es nun mal. Es ist noch nicht besonders lange her, da hast du mir gesagt, du würdest alles für mich tun. Alles. Und jetzt möchte ich, dass du hierbleibst. Ich will, dass du nicht nach Bombay zurückfährst. Wenn du fährst, ist es aus zwischen uns.«
»Und was wäre ich wohl für ein Mann«, erwiderte ich, um ein Lächeln bemüht, »wenn ich mich auf so was einlassen würde?«
»Ich schätze mal, das ist dein letztes Wort und du hast deine Wahl getroffen«, sagte sie seufzend und drängte sich an mir vorbei aus der Hütte. Ich packte meine Tasche und schnallte sie aufs Motorrad. Als ich startklar war, ging ich hinunter zum Meer. Karla erhob sich aus den Wellen und kam langsam auf mich zu, stapfte durch den weichen Sand. Ihr Trägerhemd und ihr Lungi hafteten an ihrem Körper, und ihr nasses schwarzes Haar schillerte in der aufsteigenden Sonne. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen hatte.
»Ich liebe dich«, sagte ich, als sie sich in meine Arme schmiegte und wir uns küssten. Ich flüsterte es auf ihre Lippen, auf ihr Gesicht und ihre Augen. Ich drückte sie an mich. »Ich liebe dich. Das wird schon, Karla. Du wirst sehen. Ich komme bald wieder.«
»Nein«, antwortete sie hölzern. Ihr Körper fühlte sich reglos an in meinen Armen, aller Lebendigkeit, aller Liebe beraubt. »Das wird es nicht. Es wird nicht werden. Es ist vorbei. Und ab morgen bin ich nicht mehr hier.«
Ich sah ihr in die Augen und spürte, wie mein Körper sich verhärtete. Es war, als hätte mein Stolz mich innerlich ausgehöhlt. Meine Hände sanken von ihren Schultern. Ich drehte mich um und ging zum Motorrad zurück. An der letzten kleinen Klippe, von der aus man den Strand – unseren Strand – noch sehen konnte, hielt ich an, überschattete die Augen und hielt Ausschau nach ihr. Doch sie war verschwunden, und ich sah nur noch die Wellen, die sich aufbäumten wie verspielte Tümmler und am Strand zerbrachen, und das leere, zerwühlte Laken des Sandes.
F ÜNFUNDZWANZIGSTES K APITEL
E in lächelnder Diener öffnete mir die Tür, bat mich herein und bedeutete mir, leise zu sein. Er hätte sich die Mühe sparen können. Die Musik war so laut, dass man mich nicht einmal gehört hätte, wenn ich geschrien hätte. Der Diener deutete mit den Händen die Form einer Tasse an, führte diese zum Mund und blickte mich fragend an. Ich nickte, worauf er die Tür behutsam hinter sich zuzog und mich mit Abdul Ghani allein ließ. Der korpulente Mann stand im ausladenden Halbrund eines hohen Erkerfensters und blickte auf ein Panorama aus Dachgärten und rostroten, im Fischgrätmuster gedeckten Dächern und Balkonen, auf denen leuchtende grüne und gelbe Saris zum Trocknen aufgehängt waren.
Von kunstvollen Rosetten an der Decke des großen hohen Raumes hingen drei prächtige Kronleuchter an mächtigen goldenen Ketten. Unweit der Tür gegenüber stand ein langer Esstisch, um den zwölf hochlehnige Teakholzstühle platziert waren. Dahinter erstreckte sich ein Büfett aus Mahagoni, so lang wie der Tisch, über dem ein gewaltiger, rosa schimmernder Spiegel prangte. Der Rest der Wand wurde vollständig von einem deckenhohen Bücherregal eingenommen. Aus den vier hohen Fenstern gegenüber blickte man in die Schatten spendenden Laubkronen der Platanen, die die Straße säumten. Den Mittelpunkt des Raumes bildete jedoch ein Arbeitsplatz: ein barocker, ausladender Schreibtisch und ein mit Leder bespannter Lehnstuhl aus Teakholz. Das hintere Ende des Raums war als Salon gestaltet, mit Ledersofas und tiefen Sesseln vor zwei riesigen Erkern. Durch breite Glastüren gelangte man auf einen breiten Balkon und genoss eine einzigartige Aussicht auf die Dachgärten, die Wäscheleinen und verwitterten Wasserspeier von Colaba.
In einem der Erker stand Abdul Ghani und lauschte der Musik, die in ohrenbetäubender Lautstärke aus einer teuren Hi-Fi-Anlage schallte. Die Musik und der Gesang kamen mir bekannt vor, und nach kurzem Nachdenken erinnerte ich mich: die Blinden Sänger, jene Männer, die ich als Khaderbhais Gast in jener Nacht gehört hatte, als wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Das Lied, das gerade lief,
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