Shantaram
dürfe. Er schien sich über meinen Enthusiasmus zu freuen – vielleicht fand er ihn aber auch nur amüsant. Als er ging, hörte ich ihn jedoch tief seufzen; die Trauer über den schmerzlichen Verlust hatte ihn wieder erfasst.
Krishna, Villu und ich tranken Chai und unterhielten uns geschlagene drei Stunden lang. Sie waren zwar keine Brüder, aber beide Tamilen, die aus demselben kleinen Dorf auf der Halbinsel Jaffna stammten. Im Konflikt zwischen den Tamil Tigers – den Liberation Tigers of Tamil Eelam – und der Armee von Sri Lanka war ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht worden. Beide hatten fast ihre gesamte Verwandtschaft verloren. Die jungen Männer waren zusammen mit Villus Schwester und einem Cousin sowie Krishnas Großeltern und seinen zwei Nichten im Kleinkindalter geflohen. Ein Fischerboot hatte sie auf der Menschenschmuggelroute von Jaffna zur Koromandelküste nach Indien gebracht. Die kleine Flüchtlingsgruppe hatte sich bis nach Bombay durchgeschlagen, wo sie zunächst wie viele andere auf einem Gehweg unter einer Plastikplane lebten.
In ihrem ersten Jahr hatten die beiden jungen Männer sich mit schlecht bezahlten Jobs und diversen kleineren Delikten über Wasser gehalten. Ihr Blatt wendete sich jedoch, als sich herumsprach, dass sie gut Englisch lesen und schreiben konnten. Eines schönen Tages tauchte einer ihrer Gehwegnachbarn mit einer schriftlichen Genehmigung bei ihnen auf und bat die beiden, diese für ihn abzuändern. Krishna und Villu leisteten so gute Arbeit, dass sie regen Zulauf bekamen unter ihrer Plastikplane. Abdul Ghani, der bald von ihren Fähigkeiten erfuhr, schlug Khaderbhai vor, den beiden eine Chance zu geben. Der Rest war Geschichte.
Als ich die beiden zwei Jahre später kennen lernte, wohnten Krishna und Villu mit den Überlebenden ihrer Familien in einer großen, komfortablen Wohnung, legten einen Gutteil ihres üppigen Gehalts zur Seite und durften sich zurecht rühmen, die erfolgreichsten Fälscher von Bombay, der Fälscherhauptstadt Indiens, zu sein.
Ich wollte alles lernen, weil die Fertigkeiten der beiden mir Mobilität und Sicherheit verschaffen konnten. Meine Begeisterung war Wasser auf die Mühlen ihrer natürlichen Liebenswürdigkeit, und unsere erste Unterhaltung plätscherte munter dahin. Es war ein verheißungsvoller Anfang für eine neue Freundschaft.
Nach diesem ersten Treffen besuchte ich Krishna und Villu eine Woche lang täglich. Die jungen Männer arbeiteten hart, und manchmal blieb ich zehn Stunden lang bei ihnen, sah ihnen bei der Arbeit zu und fragte ihnen Löcher in den Bauch. Die Pässe, die sie bearbeiteten, waren reguläre oder gebrauchte Pässe oder Blanko-Reisepässe. Die gebrauchten Pässe waren von Taschendieben gestohlen, von Touristen verloren oder von verzweifelten Junkies aus Europa, Afrika, Amerika und Ozeanien verhökert worden. Blanko-Pässe waren rar. Sie wurden von korrupten Beamten in Konsulaten, Botschaften und Einwanderungsbehörden auf der ganzen Welt verkauft, von Frankreich über die Türkei bis China. Sobald solche Blanko-Reisepässe in Khaderbhais Revier landeten, wurden sie sofort zu jedem Preis aufgekauft und an Krishna und Villu weitergeleitet. Um mir ein Beispiel zu geben, zeigten die beiden mir einen Blanko-Pass aus Kanada, der zusammen mit anderen Blanko-Pässen aus Großbritannien, Deutschland, Portugal und Venezuela in einem feuerfesten Safe aufbewahrt wurde.
Mit ihren Fachkenntnissen, nahezu unerschöpflicher Geduld und den nötigen Ressourcen konnten die beiden Fälscher beinahe jedes Detail eines Passes den Bedürfnissen seines neuen Benutzers entsprechend manipulieren: Sie ersetzten Fotos und bildeten sogar Rillen und Vertiefungen, die schwere Stempel auf dem Papier hinterlassen, mit einfachsten Mitteln wie einer Häkelnadel nach. Manchmal lösten sie auch einfach die Bindung eines Passes und tauschten eine oder mehrere Doppelseiten durch leere Seiten aus einem anderen aus. Daten, Personenbeschreibungen und Stempel entfernten sie mit chemischen Lösungen und fügten die neuen Daten in dem entsprechenden Farbton ein, den sie unter Garantie in ihrem umfassenden Druckfarbensortiment vorfanden. Einige der Veränderungen waren nicht einmal für Experten erkennbar, und bei Routinekontrollen fiel keine einzige auf.
In meiner ersten Ausbildungswoche besorgte ich Ulla eine sichere und komfortable neue Wohnung im benachbarten Tardeo, unweit von der Haji-Ali-Moschee. Lisa Carter, die Ulla fast täglich in Abdullahs Wohnung
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