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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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steckt, Mann. Ich schwör’s dir, die Pferde werden dich lieben, und du wirst reiten wie Clint Eastwood höchstpersönlich!«
    »Ich will nicht reiten wie Clint Eastwood höchstpersönlich.«
    »Klar willst du!« Vikram lachte. »Das will doch jeder.«
    »Nein, ich mach das nicht.«
    »Jetzt komm schon.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    Vikram stieg ab und begann meine Füße aus den Steigbügeln zu zerren. Entnervt gab ich auf und stellte mich neben ihn, den Pferden gegenüber.
    »Und zwar so !«, sagte Vikram und begann wie in einer Filmtanznummer die Hüften zu schwenken. Dazu sang er und klatschte in die Hände. »Leg los, yaar ! Zeig, wie viel Indien in dir steckt. Komm mir hier nicht mit der Scheißeuropäer-Nummer!«
    Drei Dingen kann ein Inder nicht widerstehen: einem schönen Gesicht, einem schönen Song und einer Aufforderung zum Tanzen. Auf meine verrückte weiße Art war ich Inder genug, um mich nun an Vikrams Seite zu begeben, wenn auch nur aus dem Grund, dass ich ihn nicht alleine tanzen lassen wollte. Kopfschüttelnd und lachend ahmte ich seine Bewegungen nach. Er führte mich durch den Tanz und zeigte mir die Schritte, bis wir alle Drehungen, Schritte und Gesten perfekt synchron beherrschten.
    Die Pferde betrachteten uns mit jener ihnen eigenen Mischung aus großäugiger Scheu und schnaubender Herablassung. Dennoch tanzten und sangen wir für sie in dieser wilden Hügellandschaft, unter dem blauen Himmel, der so trocken wirkte wie der Rauch eines Lagerfeuers in der Wüste.
    Als wir zu Ende getanzt hatten, sprach Vikram auf Hindi mit meinem Pferd und ließ es seinen schwarzen Hut beschnuppern. Dann reichte er mir den Hut. Ich streifte mir das Band über, und wir bestiegen die Pferde.
    Und, zum Teufel, es funktionierte. Die Pferde trabten los und verfielen in Galopp. Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben fühlte ich mich wie ein wahrhafter Reiter. Eine grandiose Viertelstunde lang konnte ich das berauschende Gefühl von furchtloser Harmonie mit dem großherzigen Tier erleben. Ich blieb mit meinem Pferd dicht hinter Vikram, jagte steile Hänge hinauf und auf der anderen Seite der Hügel zwischen Sträuchern wieder hinunter, sodass der Wind mir um die Ohren pfiff. Mühelos sprengten wir über weites Grasland, und dann schlossen Nasir und seine Männer zu uns auf. Für eine kurze Zeit waren wir so wild und frei, wie man es von Pferden lernen kann.
    Ich lachte noch immer über dieses Erlebnis und redete auf Nasir ein, als wir zwei Stunden später die Treppe zu dem Haus am Strand hinaufstiegen. Mit meinem aufgeregten Lächeln auf den Lippen trat ich ins Haus und sah Karla an der Fensterfront stehen und aufs Meer hinausblicken. Nasir begrüßte sie auf seine übliche ruppige Art, aber über sein Gesicht huschte ein erfreutes kleines Lächeln, das er hinter seiner grimmigen Miene zu verbergen versuchte. Er holte sich eine Literflasche Wasser, eine Schachtel Streichhölzer und eine Zeitung aus der Küche und ging aus dem Haus.
    »Er lässt uns alleine«, sagte Karla.
    »Ja. Er wird sich am Strand ein Feuer machen. Das tut er öfter.«
    Ich trat zu ihr und küsste sie. Es war ein kurzer, beinahe scheuer Kuss, aber ich legte meine ganze Liebe hinein. Als unsere Lippen sich lösten, blickten wir übers Meer und hielten uns in den Armen. Nach einer Weile sahen wir Nasir, der am Strand Treibholz und Äste für das Feuer sammelte. Schließlich steckte er die zusammengeknüllten Zeitungsstücke zwischen die aufgeschichteten Holzstücke, zündete das Feuer an und ließ sich nieder, aufs Meer schauend. Ihm war nicht kalt; es war ein heißer Abend, und der Wind wehte warm vom Ozean herüber. Er hatte das Feuer gemacht, um uns zu zeigen, dass er sich noch immer am Strand aufhielt, während die Dämmerung die Wellen der untergehenden Sonne entgegentrieb, dass wir noch immer ungestört waren.
    »Ich mag Nasir«, sagte Karla; ihr Kopf ruhte an meinem Hals, an meiner Brust. »Er ist lieb und hat ein gutes Herz.«
    Sie hatte recht. Ich wusste das. Zu guter Letzt war ich auch dahintergekommen, auf die harte Tour. Doch woher wusste Karla das, sie, die Nasir kaum kannte? Eine meiner größten Schwächen damals, in jenen Jahren der Heimatlosigkeit, war meine Blindheit gegenüber der Güte von Menschen: Ich merkte nie, wie viel Güte in jemandem steckte, bis ich diesem Menschen mehr schuldete, als ich jemals wiedergutmachen konnte. Menschen wie Karla erkannten Güte auf den ersten Blick; ich dagegen konnte noch so lange

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