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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hinstarren und erkannte oft nicht mehr als die finstere Miene oder die Bitterkeit in den Augen.
    Wir blickten auf den Strand im Zwielicht und auf Nasir hinter seinem kleinen Feuer. Einen kleinen Triumph über Nasir hatte ich durch die Sprache errungen, als ich noch schwach und auf seine Kraft angewiesen war. Ich lernte seine Sprache schneller als er meine, weshalb er sich die meiste Zeit mit mir auf Urdu verständigen musste. Wenn er versuchte, Englisch zu sprechen, gab er unbeholfene verstümmelte Phrasen von sich, kopflastig vor Bedeutung und auf kleinen Füßen plump einherstapfend. Ich neckte ihn oft wegen seines schlechten Englisch, tat, als verstehe ich ihn nicht und bat ihn, seine Worte zu wiederholen, damit er wieder sinnlose Satzfetzen von sich gab, bis er mich schließlich wortreich auf Urdu und Paschtu beschimpfte und in beleidigtes Schweigen verfiel.
    Dabei war sein Englisch durchaus ausdrucksstark, häufig auch eine Art rhythmisierte Poesie. Die Verkürzungen rührten daher, dass seine Sätze aufs Wesentliche reduziert waren, sodass eine persönliche Sprachform entstand, wortreicher als Slogans, aber simpler als Sprichwörter. Gegen meinen eigenen Willen und natürlich ohne es Nasir zu sagen, hatte ich begonnen, einige seiner Redewendungen zu benutzen. Als er seine graue Stute striegelte, hatte er vor einiger Zeit zu mir gesagt: Alle Pferd gut, alle Mensch nicht gut. Noch Jahre später, wenn ich es mit Grausamkeit, Verrat und allen erdenklichen Formen von Selbstsucht, vor allem meiner eigenen, zu tun bekam, wiederholte ich unwillkürlich Nasirs Spruch: Alle Pferd gut, alle Mensch nicht gut. Und an diesem Abend, als Karlas Herz an meinem schlug und wir den tanzenden Flammen am Strand zusahen, kam mir eine andere Redewendung von Nasir in den Sinn: Keine Liebe ist kein Leben, pflegte er zu sagen. Keine Liebe ist kein Leben.
    Ich hielt Karla umschlungen, als könne ihre Nähe mich heilen, und wir gaben uns erst der Liebe hin, als die Nacht auch den letzten Stern am Himmel erleuchtete. Ihre Hände waren Küsse auf meiner Haut. Meine Lippen öffneten das eingerollte Blatt ihres Herzens. Ihr Atem war ein Murmeln, das mich lenkte, und ich sprach in Rhythmen zu ihr, Echos meiner Wünsche. Hitze wohnte uns bei, und wir kosteten und ertasteten uns und hüllten uns in duftende Laute. Gespiegelt im Glas, waren wir Silhouetten, durchscheinende Bilder – von Flammen durchzüngelt das meine, erfüllt von Sternen das ihre. Und zuletzt, am Ende, schmolzen diese klaren Spiegelbilder unserer selbst, mischten sich und flossen ineinander.
    Es war gut, so gut, doch sie sagte nicht, dass sie mich liebte.
    »Ich liebe dich«, flüsterte ich an ihren Lippen.
    »Ich weiß«, antwortete sie, belohnte und bemitleidete mich zugleich. »Ich weiß.«
    »Ich muss diese Reise nicht antreten, weißt du.«
    »Warum willst du es denn?«
    »Ich weiß nicht recht. Ich … fühle mich ihm verpflichtet, Khaderbhai, und ich bin ihm in gewisser Weise auch einiges schuldig. Aber das ist nicht alles. Es ist mehr … hast du jemals das Gefühl gehabt – dass dein ganzes Leben eine Art Auftakt ist oder so … als hätte alles, was du bislang getan hast, nur zu diesem Punkt führen sollen, den man dann irgendwann erreicht? Ich kann das nicht gut erklären, aber –«
    »Ich weiß, was du meinst«, warf sie ein. »Ja, ich kenne dieses Gefühl. Ich habe einmal etwas getan, das mein ganzes Leben – auch die noch nicht gelebten Jahre – in einer Sekunde zusammenfasste.«
    »Was war das?«
    »Wir haben von dir gesprochen«, lenkte sie ab und wich meinem Blick aus. »Darüber, ob du nach Afghanistan gehst.«
    »Nun«, sagte ich und lächelte, »wie gesagt, ich muss nicht gehen.«
    »Dann tu es nicht«, sagte sie tonlos und wandte den Kopf, um aufs dunkle Meer zu schauen.
    »Möchtest du, dass ich bleibe?«
    »Ich möchte dich in Sicherheit wissen. Und … ich möchte, dass du frei sein kannst.«
    »Das meinte ich nicht.«
    »Ich weiß«, seufzte sie.
    Ich spürte einen Anflug von Unruhe in ihrem Körper, der mir bedeutete, dass sie sich bewegen wollte. Doch ich rührte mich nicht.
    »Ich werde hierbleiben«, sagte ich leise, meinem Herzen zum Trotz und schon wissend, dass ich einen Fehler beging, »wenn du mir sagst, dass du mich liebst.«
    Sie presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiß wurden und einer Narbe glichen. Langsam, Zelle um Zelle, so schien es, zog ihr Körper alles in sich selbst zurück, was sie mir nur Minuten zuvor gegeben

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