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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hatte.
    »Warum tust du das?«, fragte sie.
    Ich wusste es nicht. Vielleicht war der Affe der Grund, alles, was ich die letzten Monate durchgemacht hatte, das neue Leben, das ich mir errungen hatte. Vielleicht auch der Tod – Prabakers Tod und Abdullahs Tod und der Tod, von dem ich insgeheim fürchtete, dass er mich in Afghanistan erwartete. Was auch immer der Grund sein mochte – mein Verhalten war dumm und sinnlos, grausam sogar, aber ich konnte nicht davon ablassen.
    »Wenn du mir sagst, dass du mich liebst«, wiederholte ich.
    »Tu ich nicht«, murmelte sie schließlich. Ich versuchte, ihr Einhalt zu gebieten, indem ich ihr die Fingerspitzen auf die Lippen legte, aber sie wandte mir das Gesicht zu, und ihre Stimme war klar und kraftvoll. »Tu ich nicht. Kann ich nicht. Werde ich nicht.«
    Als Nasir, hustend und sich lautstark räuspernd, um sich bemerkbar zu machen, vom Strand zurückkehrte, waren wir bereits geduscht und angekleidet. Er lächelte – es war so selten zu sehen, dieses Lächeln –, als er von mir zu ihr und wieder zurück schaute. Doch der kalte Kummer in unseren Augen verwandelte die harschen Linien in seinem Gesicht in ein Geflecht der Enttäuschung, und er wandte den Blick ab.
    Wir schauten dem Taxi nach, mit dem sie davonfuhr, in jener langen und einsamen Nacht, bevor wir in Khaders Krieg zogen, und als Nasir mich ansah, nickte er, langsam und feierlich. Ich erwiderte seinen Blick ein paar Momente, doch dann schaute ich weg. Ich wollte diese beunruhigende Mischung aus Trauer und Freude in seinen Augen nicht sehen, weil ich wusste, was sie mir sagte. Karla war verschwunden, ja, aber in dieser Nacht verloren wir die ganze Welt der Liebe und der Schönheit. Als Soldaten für Khaders Mission mussten wir all das zurücklassen. Und die andere Welt, jene einstmals grenzenlose Welt dessen, was wir hätten sein können, schrumpfte von Stunde zu Stunde, bis sie nur noch so groß war wie ein blutroter Punkt, geschaffen von einer Gewehrkugel.

E INUNDDREISSIGSTES K APITEL
     

    N asir weckte mich vor dem Morgengrauen, und wir verließen das Haus, als sich die ersten Lichtstrahlen in die weichende Nacht wagten. Als wir am Flughafen aus dem Taxi stiegen, sahen wir Khaderbai und Khaled Ansari am Eingang zum Terminal für Inlandflüge, ließen uns jedoch nicht anmerken, dass wir sie kannten. Khader hatte uns einen komplizierten Reiseplan von Bombay nach Quetta in Pakistan, nahe der Grenze zu Afghanistan, erstellt, der viermaliges Umsteigen vorsah. Wir hatten die Anweisung bekommen, wie einzelne Reisende zu wirken, die nicht miteinander in Kontakt standen. Wir würden in drei Ländern Straftaten begehen und uns in einen Krieg zwischen den afghanischen Mudjahedin-Freiheitskämpfern und dem übermächtigen Goliath Sowjetunion einmischen. Khader wollte seine Mission erfolgreich ausführen, kalkulierte jedoch ein etwaiges Scheitern mit ein. Für den Fall, dass einer von uns getötet oder gefangen genommen wurde, sollte die Spur zurück nach Bombay so kalt sein wie der Pickel eines Bergsteigers.
    Es war eine lange Reise, und sie begann in Stille. Nasir, der wie stets Khaderbhais Anweisungen strengstens befolgte, gab auf dem ersten Teil der Strecke, von Bombay nach Karachi, kein einziges Wort von sich. Doch eine Stunde später, nachdem wir unsere Zimmer im Chandni Hotel bezogen hatten, hörte ich ein Klopfen an der Tür. Kaum hatte ich sie einen Spalt geöffnet, glitt Nasir herein und drückte sie hinter sich zu. Sein Blick war wild, und er wirkte gehetzt, beinahe panisch. Ich fand dieses Betragen ziemlich übertrieben und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Nur die Ruhe, Nasir. Du machst mir wirklich Angst, Bruder, mit diesem dramatischen Abenteuergetue.«
    Nasir verstand zwar nicht alles, was ich sagte, bemerkte aber wohl das Lächeln und meine herablassende Haltung. Er biss grimmig die Zähne zusammen und blickte mich finster an. Wir waren Freunde geworden, Nasir und ich. Er hatte mir sein Herz geöffnet. Doch Freundschaft machte in seinen Augen aus, was Männer füreinander tun und ertragen, nicht, was sie gemeinsam erleben und genießen. Es verwirrte und quälte ihn offenbar auch, dass ich seinem gewichtigen Ernst meist mit Lockerheit und Witzeleien begegnete. Die Ironie dabei war, dass wir im Grunde beide ernste und verschlossene Männer waren, ich diese Züge an ihm aber so extrem fand, dass ich mich bemüßigt fühlte, Nasir mit kindischen Scherzen zu necken.
    »Russen … überall«, sagte er leise,

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