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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Einzelheiten seines Einsatzes als Kundschafter zu erklären, erstarrte jedoch plötzlich und blickte zum Eingang der Höhle. Wir fuhren herum und sahen die Silhouette einer wilden abgerissenen Männergestalt im Licht des Höhleneingangs. Habib. Er war unbemerkt von den Wachen – ein nahezu unmögliches Unterfangen – ins Lager gelangt und stand nun zwei Schritte von uns entfernt. Ich war froh, dass ich nicht als Einziger zur Waffe griff.
    Khaled stürzte mit einem breiten herzlichen Lächeln auf Habib zu, das ich ihm – und Habib, dem das Lächeln galt – regelrecht übel nahm. Khaled zog den Verrückten in die Höhle und wies ihn an, sich neben den verblüfften Suleiman zu setzen. Und dann begann Habib zu sprechen, mit großer Ruhe und Klarheit.
    Er habe die Stellungen des Feindes gesehen, sagte er, und kenne die Truppenstärke. Er hätte den Angriff auf uns beobachtet und sich dann so dicht an das feindliche Lager herangeschlichen, dass er hören konnte, wie über das Mittagessen gesprochen wurde. Er könne uns Positionen zeigen, von denen aus wir die Stellungen des Feindes unter Beschuss nehmen könnten. Damit aber eines klar sei: Wer nicht gleich tot sei, gehöre ihm. Das war sein Preis.
    Die Männer erörterten Habibs Vorschlag in seiner Anwesenheit. Einige hatten Bedenken, dass wir uns in die Hände desselben Wahnsinnigen gaben, dessen grauenvolle Foltern den Krieg überhaupt erst in unser Lager getragen hatten. Es bringe Unheil, sich mit dem Bösen zu verbünden, sagten diese Männer; es sei schlecht für die Moral und würde uns Unheil bescheren. Anderen machte es zu schaffen, dass wir bei einem solchen Angriff viele Afghanen töten würden.
    Ein bizarrer Widerspruch dieses Krieges war die Tatsache, dass jeder Afghane nur widerstrebend gegen seine Landsleute kämpfte und den Tod jedes einzelnen aufrichtig bedauerte. Afghanistan hatte eine so lange Geschichte von Konflikten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen und Stämmen, dass niemand die Afghanen, die auf Seiten der Russen kämpften, wirklich hasste. Echter Hass, wenn er denn überhaupt vorkam, galt lediglich der afghanischen Version des KGB, dem sogenannten KHAD. Der afghanische Verräter Najibullah, der an die Macht kam und sich selbst zum Herrscher des Landes proklamierte, befehligte diese berüchtigte Geheimpolizei jahrelang und war verantwortlich für bestialische Foltern. Es gab nicht einen Widerstandskämpfer im Lande, der nicht davon träumte, diesem Mann eine Schlinge um den Hals zu legen und ihn daran hochzuziehen. Soldaten und auch Offiziere der afghanischen Armee dagegen waren Landsleute und viele von ihnen überdies Wehrpflichtige, die lediglich alles Notwendige taten, um zu überleben. Und viele der Berufssoldaten gaben regelmäßig Informationen über russische Truppenbewegungen oder geplante Angriffe an die Mudjahedin weiter. Ohne deren Unterstützung konnte der Krieg niemals gewonnen werden. Und ein Überraschungsangriff auf die beiden Stellungen, die Habib entdeckt hatte, würde viele Afghanen das Leben kosten.
    Die lange Diskussion endete dennoch mit dem Beschluss, dass es keine andere Möglichkeit gab. Unsere Lage wurde als so gefährlich eingeschätzt, dass wir nur eine Überlebenschance hatten, wenn wir den Feind durch einen Gegenangriff aus den Bergen vertrieben.
    Der Plan war gut und hätte auch funktionieren sollen, doch wie so vieles in diesem Krieg brachte er nur Chaos und Tod. Außer mir, der ich mich der Verwundeten annehmen sollte, blieben vier Mann als Wachen im Lager. Die vierzehn Mann, die den Angriff ausführen sollten, wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Khaled und Habib standen der ersten Einheit vor, Suleiman der zweiten. Habibs Anweisungen folgend, stellten sie die Granatwerfer etwa in einem Kilometer Entfernung von den feindlichen Lagern auf – innerhalb der Höchstreichweite. Der Beschuss begann kurz nach dem Morgengrauen und dauerte eine halbe Stunde. Unsere Leute fanden acht afghanische Soldaten vor, als sie die zerstörten Lager besichtigten. Nicht alle von ihnen waren tot. Habib nahm sich die Überlebenden vor. Entsetzt und angeekelt darüber, was sie dem Wahnsinnigen erlaubt hatten, kehrten unsere Männer ins Lager zurück, in der Hoffnung, diesen Verrückten nie wieder sehen zu müssen.
    Knapp eine Stunde nach ihrer Rückkehr erfolgte der Gegenangriff. Unser Lager wurde von heulenden, pfeifenden, donnernden Explosionen erschüttert. Als der Beschuss vorüber war, krochen wir aus unseren Verstecken

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