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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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darauf angesprochen hatte, wusste seine Blutgruppe, weshalb ich keine Blutspenden anlegen konnte. Ich selbst hatte Blutgruppe Null, die meist verbreitete Blutgruppe, und war deshalb die wandelnde Blutspende für die gesamte Einheit.
    Normalerweise wird bei einer Blutspende ein halber Liter abgezapft. Wir haben etwa sechs Liter Blut im Körper, sodass bei einer Blutspende weniger als ein Zehntel verloren geht. Mithilfe der Infusionen, die zu Khaders Schmuggelfracht gehört hatten, spendete ich beiden Männern etwas mehr als einen halben Liter Blut. Als ich mit den Spritzen, die nicht versiegelt waren, sondern offen in Kästen lagen, in meine Venen und die der Verwundeten stach, fragte ich mich, ob sie von Ranjits Leprakranken stammten. Durch die Transfusionen gab ich mehr als zwanzig Prozent von meinem Blut ab. Danach war mir schwindlig und übel, obwohl ich mir nicht sicher war, ob wirklich der hohe Blutverlust die Ursache dafür war oder meine Angst. Mir war bewusst, dass ich vorerst kein weiteres Blut spenden konnte, und die Hoffnungslosigkeit der Lage – meiner eigenen und der ihren – saß wie ein Albdruck auf meiner Brust.
    Es war schmutzige beängstigende Arbeit, für die ich nicht ausgebildet war. Der Erste-Hilfe-Kurs, an dem ich als junger Mann teilgenommen hatte, war lehrreich gewesen, hatte sich aber nicht auf Kriegsverletzungen erstreckt. Und was ich in der Slumklinik an Erfahrungen gesammelt hatte, war mir hier in den Bergen nicht von Nutzen. Ich folgte in erster Linie einem Impuls – demselben Impuls zu helfen und zu heilen, der mich, in einem anderen, weit entfernten Leben, dazu veranlasst hatte, in meiner Heimatstadt Fixer zu retten, die sich eine Überdosis verpasst hatten. Dahinter stand natürlich nicht zuletzt der heimliche Wunsch – den auch Khaled mit seinem gefährlichen Irren Habib in sich trug –, selbst errettet und geheilt zu werden. Es war nicht viel, und es war auch nicht genug, aber mehr hatte ich nicht zu bieten. Deshalb gab ich mein Bestes, bemüht, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, nicht zu erbrechen und nicht zu weinen, und danach wusch ich mir die Hände im Schnee.
    Als Nasir sich ausreichend erholt hatte, bestand er darauf, Abdel Khader Khan streng gemäß den Regeln zu bestatten. Das tat er, noch bevor er etwas aß oder trank. Ich sah zu, wie Khaled, Mahmud und Nasir sich säuberten, gemeinsam beteten und Khaderbhais Leiche für die Bestattung vorbereiteten. Seine grünweiße Standarte war verschwunden, aber einer der Mudjahedin stellte seine eigene Fahne als Leichentuch zur Verfügung. Sie war weiß mit der Aufschrift:
La illa ha ill’ Alla h
Es gibt keinen Gott außer Got t
    Mahmud Melbaaf, der seit der Taxifahrt in Karachi bei uns war, vollzog das Ritual so sorgfältig und liebevoll, geradezu zärtlich, dass ich immer wieder auf sein stilles kraftvolles Gesicht blickte, während er betete. Er hätte kaum hingebungsvoller sein können, wenn er sein eigenes Kind beerdigt hätte, und in diesen Momenten während der Bestattung wuchs er mir als Freund ans Herz.
    Während der Zeremonie blickte ich zu Nasir hinüber und schaute sofort wieder auf die hart gefrorene Erde vor meinen Stiefeln. Nasir war in eine Wildnis aus Trauer und schamvollem Leid geraten. Er hatte dafür gelebt, Khader Khan zu dienen und ihn zu beschützen. Doch nun war der Khan tot, und er selbst lebte noch. Und als sei das nicht schon schlimm genug, war er noch nicht einmal verwundet. Sein eigenes Leben, seine schiere Existenz in der Welt, kam ihm wie Betrug vor. Jeder Herzschlag war ein neuerlicher Akt des Verrats. Und Nasirs Trauer und Erschöpfung zehrten so an ihm, dass er ernsthaft erkrankte. Er hatte mindestens zehn Kilo abgenommen. Seine Wangen waren eingefallen, und unter seinen Augen lagen tiefe schwarze Schatten. Seine Lippen schälten sich, und seine Hände und Füße machten mir Sorgen. Ich hatte sie untersucht und wusste, dass sich ihre Hautfarbe verändert hatte und dass sie nicht mehr richtig durchblutet waren. Er hatte sich möglicherweise bei seinem Marsch durch den Schnee Erfrierungen zugezogen.
    Allerdings hatte er damals eine Aufgabe vor sich, die seinem Leben noch ein Ziel, wenn auch keinen Sinn gab, aber das wusste ich zu dieser Zeit nicht. Khaderbhai hatte für den Fall seines Todes während der Mission eine letzte Anweisung gegeben. Er hatte Nasir einen Mann genannt, den er töten sollte. Nasir befolgte diesen Befehl bereits damals, vorerst nur, indem er dafür sorgte, lange

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