Shantaram
mit diesen Männern widerlegt. Im persönlichen Kontakt erwiesen sich die afghanischen Männer als großzügig, freundlich, ehrlich und ausgesucht höflich mir gegenüber. Ich äußerte bei diesem ersten und allen weiteren Treffen nicht ein einziges Wort, wurde aber über jeden Satz informiert, der gesprochen wurde.
Nasirs Bericht von dem Angriff, bei dem unser Khan getötet wurde, war alarmierend. Khader hatte das Lager mit sechsundzwanzig Mann und sämtlichen Pack- und Reitpferden verlassen, unter der Annahme, dass man unbehelligt sein Geburtsdorf erreichen werde. Am zweiten Tag des Marsches, immer noch eine Tages- und Nachtreise von Khaderbhais Dorf entfernt, wurden sie gezwungen anzuhalten und vermuteten, dass es sich um eine routinemäßige Tributforderung seitens eines Klanführers handelte.
Doch man stellte ihnen vor allem barsche Fragen nach Habib Abdur Rahman. In den zwei Monaten, seit er aus unserem Lager verschwunden war, nachdem er den bewusstlosen Siddiqi getötet hatte, hatte Habib in einer für ihn neuen Kriegszone, dem Share Safa-Gebirge eine Ein-Mann-Terrorherrschaft errichtet. Er hatte einen russischen Offizier zu Tode gefoltert. An Männern der afghanischen Armee hatte er – seiner Ansicht nach zumindest – vergleichbare Gerechtigkeit walten lassen, und sogar an Mudjahedin-Kämpfern, die er für nicht überzeugend genug erachtete. Seine grausamen Foltermethoden versetzten schließlich jeden Einzelnen in der Region in Angst und Schrecken. Es hieß, er sei ein Geist oder der shaitaan, der Große Satan selbst, der käme, um die Leiber der Männer zu zerfetzen und ihnen die Gesichtshaut über den Schädel zu ziehen. Was zuvor ein relativ ruhiger Korridor zwischen den Kampfzonen gewesen war, hatte sich in ein Gebrodel aus wütenden, verängstigten Soldaten und anderen Kämpfern entwickelt, die allesamt darauf aus waren, den Dämon Habib zu finden und zu töten.
Als Khaderbhai merkte, dass er in eine Falle gegangen war, die man eigentlich für Habib errichtet hatte, und dass diese Männer seiner Sache nicht wohlgesonnen waren, versuchte er, einen friedlichen Abgang zu arrangieren. Er übergab vier Pferde als Tribut und versammelte seine Männer. Sie hatten das feindliche Gelände schon beinahe hinter sich gelassen, als die ersten Schüsse in die schmale Schlucht abgegeben wurden. Der Kampf tobte eine halbe Stunde. Als er vorbei war, zählte Nasir achtzehn Tote aus Khaders Truppe. Einigen Verwundeten war die Kehle durchgeschnitten worden. Nasir und Ahmed Zadeh hatten nur überlebt, weil sie zuunterst in einem Haufen aus toten Männern und Pferden gelandet waren und ebenfalls für tot gehalten wurden.
Ein Pferd hatte den Angriff schwer verletzt überlebt. Nasir brachte es dazu, sich zu erheben, dann schnallte er den sterbenden Ahmed und den toten Khader auf seinen Rücken. Das Pferd trottete einen Tag und eine halbe Nacht durch den Schnee. Dann brach es zusammen und starb etwa drei Kilometer von unserem Lager entfernt. Danach zerrte Nasir beide Männer so lange durch den Schnee, bis wir ihn fanden. Er hatte keine Ahnung, was mit den restlichen fünf Männern aus Khaders Truppe geschehen war. Er glaubte, dass sie entweder geflüchtet oder in Gefangenschaft geraten waren. Jedenfalls hatte Nasir bei den feindlichen Toten afghanische Armeeuniformen und neue russische Waffen gesehen.
Suleiman und Khaled Ansari vermuteten, dass der Angriff auf unser Lager in Verbindung mit dem Kampf zu sehen war, der Abdel Khader das Leben gekostet hatte. Sie nahmen an, dass sich die Einheit der afghanischen Armee auf Nasirs Spur gesetzt oder aber Informationen von Gefangenen erpresst und daraufhin das Lager unter Granatenbeschuss genommen hatte. Suleiman ging davon aus, dass es weitere Attacken, aber keinen Frontalangriff auf unsere Stellung geben würde, weil ein solcher Angriff viele Menschenleben kostete und nicht Erfolg versprechend war. Wenn die Einheiten der afghanischen Armee allerdings von russischen Soldaten unterstützt wurden, konnte es zu Hubschrauberangriffen kommen, sobald der Himmel klar war. Wir würden in jedem Fall Männer und vielleicht sogar unsere Stellung verlieren.
Nach einer ausgiebigen Debatte über unsere Optionen entschied Suleiman, dass wir selbst zwei Gegenangriffe mit Granatwerfern unternehmen sollten. Dazu benötigten wir allerdings verlässliche Informationen über Truppenstärke und Position des Feindes. Suleiman begann einem jungen kräftigen Hazarbuz-Nomaden namens Jalalaad die
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