Shantaram
feindlichen Truppen auf der anderen Seite des Bergs Minen legten, unseren Ausbruch wagten, eröffneten die verblüfften Wachen in dem verlassenen Lager das Feuer, schossen allerdings chaotisch durcheinander, weil sie womöglich glaubten, Habib selbst nähere sich ihnen. Dieses Zwischenspiel nahm das Vorrücken von Massuds Mudjahedin vorweg, die das Feuer als Präventivangriff der Russen deuteten. Die Explosionen, die ich gesehen und gehört hatte, als ich auf die feindlichen Linien zurannte – diese Idioten! Die jagen ihre eigenen Granatwerfer in die Luft! –, waren Volltreffer von Massuds Granatwerfern auf die russischen Stellungen. Die entfernteren Treffer, die uns erwischten, waren lediglich Versehen: Beschuss aus den eigenen Reihen sozusagen.
Und das war jener Augenblick des Hochgefühls gewesen, den ich als glorreich empfunden hatte, als ich aufs Feuer der feindlichen Gewehre zurannte: diese unsinnige Verschwendung von Leben, dieser Beschuss durch die eigenen Leute. Nichts daran war glorreich oder ehrenvoll. Und es ist niemals so. Es gibt nur Mut und Angst und Liebe. Und der Krieg tötet das alles, eines nach dem anderen. Glorie, die Pracht und die Herrlichkeit, gehören zu Gott. Und Gott kann man nicht mit einer Waffe dienen.
Als wir gefallen waren, verfolgten Massuds Männer die fliehenden Feinde, die ihrerseits auf die zurückkehrenden Minenleger stießen. Der folgende Kampf war ein Gemetzel. Nicht einer der Männer, die ausgesandt waren, um Habib Abdur Rahman zu fangen und zu töten, überlebte. Das hätte ihm gefallen, dem Wahnsinnigen. Ich sah ihn vor mir, grinsend, mit offenem Mund, aus dem kein Laut drang, und diesen irrsinnigen Augen, aus denen der Hass quoll.
Nasir und ich lagen den gesamten Tag auf dem Schlachtfeld in der Kälte. In der rasch hereinbrechenden Dunkelheit kehrten die Mudjahedin und die Überlebenden unserer eigenen Einheit zurück und fanden uns. Mahmud und Ala-ud-Din bargen unsere Toten, Suleiman und Jalalaad.
Massuds Truppen hatten sich mit unabhängigen Achakzai-Milizen zusammengetan, um die Straße vom Pass nach Chaman bis zum russischen Verteidigungsgürtel des belagerten Kandahar fünfzig Kilometer vor der Stadt zu erobern. Unser Transport nach Chaman und über den Pass nach Pakistan ging rasch und ohne Zwischenfälle vonstatten. Mitsamt den Leichen unserer toten Freunde wurden wir binnen weniger Stunden zum Grenzübergang gebracht – für diese Strecke waren wir mit Khaders Pferden in den Bergen einen Monat unterwegs gewesen.
Nasir erholte sich rasch und nahm auch wieder zu. Die Wunden an seinem Arm und an der Schulter verheilten gut und behinderten ihn kaum. Von der Verletzung am rechten Oberschenkel allerdings schien der Bewegungsapparat zwischen Hüfte und Knie betroffen zu sein. Das Knie blieb steif, und er war gezwungen, das rechte Bein beim Gehen nach außen zu schwingen.
Doch er war recht guter Dinge und begierig darauf, nach Bombay zurückzukehren – so begierig, dass er mir mit seinen Fragen nach meinem Heilungsprozess, der mehr Zeit in Anspruch nahm, gewaltig auf die Nerven ging. Ich raunzte ihn mehrmals an, wenn mir wegen seiner dauernden drängenden Erkundigungen – du besser? Du kommst jetzt? Wir gehen jetzt? – der Geduldsfaden riss. Ich wusste damals noch nicht, dass Nasir einen Auftrag hatte, Khaders letzten Auftrag, der ihn in Bombay erwartete. Dieser Auftrag war das Einzige, was Nasirs Scham und seinen Kummer darüber, dass er Abdel Khader überlebt hatte, im Zaum zu halten vermochte. Und während unserer Genesung wurde das Gefühl der Verpflichtung, Khaders letzten Befehl ausführen zu müssen, für Nasir tagtäglich dringlicher – und die Verzögerung frevelhafter.
Ich hatte meine eigenen Sorgen. Die Verletzungen an den Beinen verheilten gut, und von der Stirnwunde blieb nur eine verknöcherte Wölbung unter der Haut zurück, aber das geplatzte Trommelfell hatte sich entzündet und verursachte ständige, unerträgliche Schmerzen. Wenn ich kaute oder trank, sprach oder ein lautes Geräusch hörte, kam es mir vor, als spritzten Skorpione ihr Gift in meine Gesichtsnerven und in mein fieberndes Gehirn. Jede Bewegung, jeder Atemzug, jedes Niesen oder Husten verschlimmerte diese Tortur und trieb mir den Schweiß aus den Poren. Wenn ich nachts versehentlich an das entzündete Ohr stieß, fuhr ich mit einem Schmerzensschrei hoch, der jeden im Umkreis von fünfzig Metern aus dem Schlaf riss.
Dann, nachdem ich drei Wochen lang diese entsetzlichen
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