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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Schmerzen erduldet und mich selbst mit Penicillin und heißen Antibiotikaspülungen behandelt hatte, verheilte die Wunde, und die Schmerzen wichen von mir wie Erinnerungen, Meilensteinen an einem fernen dunstverhangenen Ufer gleich.
    Auch der Zustand meiner Hände besserte sich, doch erfrorenes Gewebe verheilt nie mehr vollständig, und diese Verletzung blieb eine der vielen Spuren, die jene Jahre der Flucht in meinem Körper hinterließen. Meine Hände bewahrten die Erinnerung an die Leiden in Khaders Bergen in sich, und jeder kalte Tag ruft aufs Neue die Schmerzen wach, erinnert mich daran, wie ich vor dem Kampf mein Gewehr umklammerte, schickt mich zurück in jene Zeit. Doch im wärmeren Klima von Pakistan ließen sich meine Finger biegen und bewegen, und ich konnte mich wieder auf sie verlassen. Sie waren bereit für die Aufgabe, die sie erwartete; meinen kleinen Racheakt in Bombay. Ich hatte zwar abgenommen in dieser Zeit der Entbehrungen, doch mein Körper war härter und stählerner als vor dem Einsatz in Khaders Mission.
    Nasir und Mahmud organisierten unsere Rückreise mit mehreren Zügen. Die beiden hatten in Pakistan ein kleines Waffenarsenal erworben, das sie nach Bombay schmuggeln wollten. Sie versteckten die Waffen in Stoffballen und übergaben sie drei Afghanen zum Transport, die fließend Hindi sprachen. Wir fuhren in unterschiedlichen Waggons und nahmen keinen Kontakt zu den Männern auf, waren jedoch in Gedanken ständig mit unserer verbotenen Fracht beschäftigt. Als ich in meinem Erste-Klasse-Abteil saß und über die Ironie der Lage nachsann – wir waren aufgebrochen, um Waffen nach Afghanistan zu schmuggeln, und schmuggelten nun auf der Rückreise Waffen nach Bombay –, musste ich unwillkürlich lachen. Doch es war ein bitteres Lachen, das meine Mitreisenden dazu veranlasste, den Blick abzuwenden.
    Wir brauchten zwei Tage für die Rückfahrt. Ich benutzte meinen gefälschten Pass, mit dem ich auch in Pakistan eingereist war, doch mein Visum war abgelaufen. Allzu viel Charme stand mir nicht zur Verfügung, doch ich bot alles auf, mitsamt meinen letzten US-Dollars von Khader, um die Beamten auf der pakistanischen und der indischen Seite der Grenze zu bestechen, was reibungslos vonstatten ging. Und eine Stunde nach Sonnenaufgang, acht Monate nachdem wir die Stadt verlassen hatten, kehrten wir zurück in die brodelnde, hitzige, eifrige, hastende Leidenschaft meines geliebten Bombay.
    Aus sicherer Entfernung beobachteten Nasir und Mahmud Melbaaf das Verladen und den Abtransport ihrer speziellen Fracht. Nachdem ich Nasir versprochen hatte, mich abends mit ihm im Leopold’s zu treffen, verabschiedete ich mich von den beiden.
    Ich nahm mir ein Taxi. Die Inselstadt berauschte mich aufs Neue mit ihren Klängen und Farben und Bewegungsströmen. Doch ich musste mich konzentrieren; ich brauchte dringend Geld. Ich dirigierte den Fahrer zu unserem Treffpunkt im Fort-Viertel, wo die Schwarzmarktgelder gesammelt wurden, wies ihn an, zu warten und rannte die drei Treppen zum Zählraum hinauf. Die Erinnerung an Khaled überfiel mich – diese Holztreppe bin ich früher mit Khaled hinaufgelaufen, mit Khaled, mit Khaled –, doch ich verbot mir diesen Gedanken, ebenso wie ich mir die Schmerzen in den Waden verbiss. Die beiden wuchtigen Männer, die den Eingang sicherten, erkannten mich, und wir schüttelten uns erfreut die Hand.
    »Und, was gibt es Neues von Khaderbhai?«, fragte einer der beiden.
    Ich blickte in sein hartes junges Gesicht. Der Mann hieß Amir, und er war immer ein mutiger verlässlicher Getreuer des Khan gewesen. Im ersten Moment empfand ich es als ungeheuerlich, dass er sich einen Scherz erlaubte über Khaders Tod, und ich hätte ihn am liebsten umgelegt. Dann wurde mir bewusst, dass er tatsächlich nichts wusste. Wie ist das möglich? Wieso wissen sie nichts? Instinktiv entschied ich mich dafür, die Frage nicht zu beantworten. Unverbindlich lächelnd klopfte ich an die Tür.
    Ein kleiner fetter, kahlköpfiger Mann in weißem Unterhemd und Dhoti öffnete und streckte mir zur Begrüßung beide Hände entgegen – Rajubhai, der für den Khader-Klan die Geldgeschäfte beaufsichtigte. Er zog mich ins Zimmer und schloss die Tür hinter uns. Der Zählraum war das Zentrum seines privaten und seines beruflichen Universums, in dem er tagtäglich zwanzig Stunden zubrachte. Die dünne ausgeblichene weißrosa Kordel, die er unter dem Hemd und quer über der Schulter trug, wies ihn als gläubigen Hindu aus

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