Shantaram
Seite, habe Rückendeckung gegeben. Dann haben sie dich behandelt.«
»Erstklassige Behandlungsmethode – ein Afghane mit Kalaschnikow, der den Arzt bedroht.«
»Ja«, stimmte mir Mahmud ohne jede Spur von Ironie zu. »Dann haben sie Nasir behandelt. Und dann ist er eingeschlafen, nach zwei Tagen mit Wunden und ohne Schlaf.«
»Und sie haben nicht die Polizei gerufen, als er schlief?«
»Nein. Sind alles Afghanen hier, die Ärzte, Verwundeten, Wachen. Aber die Polizei sind Pakistani. Afghanen mögen die pakistanische Polizei nicht. Können sie nicht leiden. Deshalb haben sie mir die Erlaubnis gegeben, und ich habe Nasirs Waffen an mich genommen, als er schlief. Ich habe nach ihm gesehen. Und nach dir. Warte – ich glaube, unsere Freunde sind da!«
Die Zeltklappen flogen auf, und das gelbe Sonnenlicht eines warmen Tages drang herein und blendete uns. Vier Männer traten ins Zelt. Es waren afghanische Kämpfer, kriegserfahrene –, harte Männer, die mich mit demselben Blick ansahen, mit dem sie vermutlich am Lauf ihrer Jezail-Gewehre entlang blickten. Mahmud erhob sich, begrüßte sie und raunte ihnen ein paar Worte zu. Zwei der Männer weckten Nasir. Er hatte fest geschlafen, doch als man ihn berührte, fuhr er sofort hoch, kampfbereit. Nachdem er gemerkt hatte, dass es sich um Freunde handelte, schaute er zu mir herüber, und als er mich lebendig und aufrecht auf dem Bett sitzen sah, trat auf sein Gesicht ein breites Grinsen, das geradezu beunruhigend wirkte bei jemandem, der für gewöhnlich so grimmig blickte.
Die beiden Männer halfen ihm auf. Sein rechter Oberschenkel war bandagiert. Sich auf die Schultern der Männer stützend, humpelte Nasir hinaus ins Sonnenlicht. Die beiden anderen Männer waren mir beim Aufstehen behilflich, aber meine verletzten Schienbeine versagten den Dienst, sodass ich nur unbeholfen einherschlurfen konnte. Nachdem die Männer sich das ein paar Sekunden angesehen hatten, bildeten sie mit den Armen einen Sitz und hoben mich mühelos hoch.
Und so gestaltete sich in den nächsten Wochen unsere Genesungszeit: ein paar Tage, maximal eine Woche, verweilten wir an einem Ort, dann zogen wir unvermittelt in ein anderes Zelt, eine andere Slumhütte oder ein geheimes Zimmer. Der pakistanische Geheimdienst ISI war erpicht darauf, jeden Ausländer in die Finger zu bekommen, der während des Krieges unbemerkt in Afghanistan eingereist war. Das Hauptproblem für Mahmud Melbaaf, der in jenen gefährdeten Wochen als unser Beschützer fungierte, bestand darin, dass unsere Geschichte flür die Flüchtlinge und Exilanten, die uns beherbergten, ungemein faszinierend war. Ich hatte mir die blonden Haare schwarz gefärbt und trug fast immer eine Sonnenbrille. Doch so achtsam wir uns in den Slums und anderen Unterkünften auch verhielten, gab es doch immer jemanden, der Bescheid wusste, wer ich war. Der Versuchung, über den amerikanischen Waffenschmuggler zu reden, der im Kampf auf Seiten der Mudjahedin verwundet worden war, konnte kaum einer widerstehen. Solche Gespräche hätten jeden Agenten jedes Geheimdienstes aufhorchen lassen. Wenn mich die Geheimpolizei zu fassen kriegte, würde man in Bälde herausfinden, dass der Amerikaner in Wirklichkeit ein entflohener Sträfling aus Australien war. Was Beförderung für einige und einen besonderen Kick für die Folterer bedeuten würde, die mich in die Mangel nehmen würden, bevor sie mich an die australischen Behörden auslieferten. Deshalb wechselten wir oft und schnell unsere Schlupfwinkel und sprachen nur mit den wenigen, denen wir unser verwundetes Leben anvertrauten.
Nach und nach wurden die Einzelheiten bekannt, die vollständige Geschichte des Kampfes, in den wir geraten waren, und die Umstände unserer Rettung. Die russischen und afghanischen Soldaten, die unseren Teil des Gebirges umlagert hatten, waren Reste einer Kompanie, die vermutlich von einem Hauptmann angeführt wurden. Ihr einziges Vorhaben im Share Safa-Gebirge bestand darin, Habib Abdur Rahman zu fangen und zu töten. Auf seinen Kopf war eine hohe Belohnung ausgesetzt, doch das Grauen und die Angst, die seine entsetzlichen Taten bei ihnen ausgelöst hatten, machte die Suche nach ihm für jeden von ihnen zu einem persönlichen Anliegen. So gebannt von seinem zügellosen Hass und so besessen von dem Wunsch, ihn zu fassen, waren die Soldaten, dass ihnen das heimliche Vorrücken der Truppen von Ahmed Shah Massud entging. Als wir anhand von Habibs Information, derzufolge die meisten
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