Shantaram
dass es die Handwerker sind. Die hören hier doch seit Wochen ständig irgendwelche Bohrer und Hämmer und Sägen. Da kommen sie garantiert nicht auf die Idee, dass wir das sein könnten. Die würden doch nie glauben, dass irgendwelche Knackis verrückt genug sind, direkt neben dem Haupteingang eine Kreissäge zu benutzen. Das ist unsere beste Chance, ganz sicher.«
»Hey, ich will ja nicht immer das Arschloch sein, das alles schwarz sieht«, wandte mein Freund ein. »Aber hier gibt es weit und breit keinen Strom. Der ist abgeschaltet bei Renovierungen. Der einzige Stromanschluss ist draußen.«
»Weiß ich. Einer von uns muss noch mal runter und das Verlängerungskabel draußen in die Steckdose stecken. Das ist die einzige Möglichkeit.«
»Und wer soll das machen?«
»Ich mach das«, sagte ich. Es sollte stark und zuversichtlich klingen, aber bei manchen Lügen spielt der Körper einfach nicht mit, und ich brachte nur ein Krächzen hervor.
Ich kroch zur Luke. Meine Beine waren steif vor Angst. Ich seilte mich am Verlängerungskabel ab und schlich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Das Kabel zog ich vorsichtig mit. Es reichte locker bis zur Tür und hatte sogar noch Spiel. Die Kreissäge lag neben der Tür. Ich band das Kabel an ihrem Griff fest und rannte die Treppe wieder hoch. Mein Freund zog die Säge nach oben und ließ mir das Kabel dann wieder herunter. Ich schlich erneut zur Tür. Heftig atmend, den Rücken an die Wand gepresst, versuchte ich, den nötigen Mut aufzubringen, um sie zu öffnen. Mit einem geradezu schmerzhaften Adrenalinstoß riss ich sie dann schließlich auf und trat ins Freie, um das Verlängerungskabel in die Steckdose zu stecken.
Die mit Pistolen bewaffneten Wachmänner standen keine zwanzig Meter entfernt und unterhielten sich. Hätte auch nur einer von ihnen in meine Richtung geschaut, wäre alles aus gewesen. Ich blickte mich kurz um und stellte fest, dass sie überallhin schauten, nur nicht zu mir. Sie schlenderten quatschend im Bereich des Haupteingangs herum und lachten über irgendeinen Witz. Keiner sah mich. Ich schlüpfte wieder in das Gebäude, kroch auf allen vieren die Treppe hoch und zog mich an dem Verlängerungskabel durch die Luke nach oben.
In der Dunkelheit unter der Dachsenke machte mein Freund das Feuerzeug an. Ich sah, dass er die Kreissäge an das Kabel angeschlossen hatte. Er war startklar. Ich nahm das Feuerzeug und leuchtete ihm. Ohne eine Sekunde zu zögern, hievte er die schwere Säge hoch und schaltete sie ein. Sie heulte wie die Triebwerke eines Jets auf der Rollbahn. Mein Freund sah mich an, und ein starres Grinsen trat auf sein Gesicht. Seine Augen glühten im Widerschein der Flamme. Dann trieb er die Säge in das dicke Holz. Mit vier präzisen, ohrenbetäubend lauten Schnitten sägte er ein perfektes Loch, das ein schimmerndes Blechquadrat freigab.
In der darauffolgenden Stille warteten wir mit heftigem Herzklopfen, den Nachhall in den Ohren. Einen Moment später hörten wir ein Telefon klingeln, ganz in der Nähe, am Haupteingang, und wir dachten: Das war’s! Jemand nahm ab. Es war einer von den Wachleuten an der Pforte. Wir hörten ihn lachen und entspannt reden. Alles war in Ordnung. Sie hatten die Motorsäge gehört und sie, wie ich gehofft hatte, als Teil der Bauarbeiten betrachtet.
Ermutigt stach ich mit dem Schraubenzieher ein Loch in das Blech. Sonnenlicht schoss zu uns herein. Mit der Blechschere schnitt ich drei Seiten eines Rechtecks in das Blech. Dieses Rechteck drückten wir mit vereinten Kräften nach außen, und ich steckte den Kopf durch das Loch. Der tiefste Teil der v-förmigen Dachsenke war tatsächlich nicht einsehbar. Wenn wir uns in diesen schmalen Graben legten, konnten wir die Wachen in den Türmen nicht sehen und sie uns auch nicht.
Eins blieb noch zu tun. Wir brauchten das Verlängerungskabel, das in der Steckdose auf der Außenseite des Gebäudes steckte. Es war unser Seil. Wir brauchten es, um uns an der Außenseite der Gefängnismauer zur Straße hinunterzulassen. Einer von uns musste hinuntergehen, durch die Tür, direkt ins Blickfeld der Wärter am Haupteingang, das Kabel aus der Steckdose ziehen und wieder auf den Dachboden hinaufklettern. Ich blickte meinen Freund an. Sein schweißüberströmtes Gesicht glitzerte in der Helligkeit, die durch das Loch im Dach hereinflutete. Da wusste ich, dass ich es tun musste.
Unten blieb ich mit dem Rücken zur Wand neben der Tür stehen und versuchte, Kraft in meine Arme und
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