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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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müssen … etwas tun …«, murmelte ich. »Die warten alle.«
    »Kein Problem, das Warten, Lin«, sagte Prabaker leichthin. »Warten sie schon seit über eine Stunde. Warten sie auch, wenn du nicht bist bei uns, nur warten sie dann eben auf nichts. Warten auf nichts, macht es das schweres Herz, findest du auch? Haben sie jetzt etwas zu warten. Warten sie nämlich auf dich. Und bist du ganz echt wirklich etwas Besonderes, Lin Shantaram. Wenn ich das darf so sagen in dein rußiges Gesicht und zu deine hoch stehende Haare. Aber musst du machen zuerst den Stuhlgang und dich waschen und frühstücken. Müssen wir uns beeilen – warten sie paar junge Burschen da unten auf dich. Wollen sie sehen, wie du machst deinen Stuhlgang.«
    »Was?«
    »Oh ja! Sind sie ganz verrückt für dich. Bist du ein viel großer Mann und wie ein Held von das Kino für sie. Wollen sie unbedingt sehen, wie du machst den dein Stuhlgang. Wenn du hast alles gemacht, gehen wir zurück und kümmerst du dich um alle die Patienten wie ein echte Held, ja?«
    So kam ich zu meiner Aufgabe im Slum. Wenn einen das Schicksal nicht zum Lachen bringt, hatte Karla in einer unserer ersten Unterhaltungen gesagt, dann hat man den Witz nicht kapiert. Als Jugendlicher hatte ich bei einem Sanitäterlehrgang gelernt, wie man Schnitt- und Platzwunden, Verbrennungen, Verstauchungen und Knochenbrüche versorgt, erste Diagnosen stellt und Erste Hilfe leistet. Später hatte ich den Spitznamen Doc verliehen bekommen, weil ich meine Kenntnisse in kardiopulmonaler Wiederbelebung einsetzte, um Junkies, die eine Überdosis intus hatten, wieder ins Leben zurückzuholen. Es gab Hunderte von Leuten, die mich nur unter dem Namen »Doc« kannten. Viele Monate vor diesem Morgen im Slum hatten mir meine Freunde in Neuseeland den Verbandskoffer als Abschiedsgeschenk überreicht. Ich war mir sicher, dass all diese Einzelheiten in einem größeren Zusammenhang standen – der Lehrgang, mein Spitzname, der Verbandskoffer, die Arbeit als inoffizieller Slumarzt: das alles zusammen genommen, war mehr als reiner Zufall.
    Und meine neue Aufgabe war mir wie auf den Leib geschrieben. Ein anderer Mann mit meiner oder einer besseren medizinischen Ausbildung wäre nicht durch begangene Straftaten und eine Flucht aus dem Gefängnis gezwungen gewesen, im Slum zu leben. Ein anderer Krimineller wäre vielleicht bereit gewesen, hier bei den Armen zu leben, hätte jedoch nicht meine Ausbildung gehabt. An jenem ersten Morgen durchschaute ich diesen Zusammenhang noch nicht. Ich verstand den Witz nicht, deshalb brachte mein Schicksal mich nicht zum Lachen. Aber ich wusste bereits, dass ich nicht durch Zufall genau zu dieser Zeit an diesem Ort gelandet und zu dieser Aufgabe gekommen war. Und die Kraft dieser verborgenen Bedeutung war stark genug, um mich an meine neue Aufgabe zu binden, obwohl mein Instinkt mich unmissverständlich davor warnte.
    Und so arbeitete ich in den Tag hinein. Jeder Patient nannte mir seinen Namen und schenkte mir ein Lächeln. Und ich tat mein Bestes, sie alle, einen nach dem anderen, zu behandeln. Irgendwann im Laufe des Vormittags stellte jemand einen neuen Petroleumkocher in meine Hütte. Jemand anders brachte einen Metallkasten, in dem ich meine Lebensmittel rattensicher aufbewahren konnte. Nach und nach fanden noch ein Hocker, ein Wassergefäß, eine Matka und ein Satz Töpfe und etwas Besteck ihren Weg in meine Hütte.
    Als der Abend den Himmel scharlachrot färbte, setzten wir uns in einer Gruppe neben meiner Hütte zusammen, um zu essen und uns zu unterhalten. Über den geschäftigen Gassen hing Traurigkeit. Die Erinnerung an die Toten senkte sich auf uns und verebbte sanft wie die Gezeiten auf dem großen Meer des Herzens. Doch diese Wellen, diese Spielarten der Trauer, trugen die Entschlossenheit der Überlebenden in sich. Mittlerweile waren die verkohlten Überreste des Brandes weggeschafft worden und viele der Hütten bereits wieder aufgebaut. Die Hoffnung wuchs mit jedem neu errichteten bescheidenen Heim.
    Ich schaute zu Prabaker hinüber, der gleichzeit aß, lachte und scherzte, und musste daran denken, wie wir mit Karla bei den Stehenden Babas gewesen waren. Wie in Zeitlupe sah ich immer wieder vor mir, wie der Wahnsinnige mit dem Schwert auf uns zukam. Im selben Moment, als ich einen Ausfallschritt machte, um meine Karatestellung einzunehmen, hatte sich Prabaker mit einem Schritt vor Karla gestellt. Er war nicht in sie verliebt, und er war kein Kämpfer. Sein

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