Shantaram
Senken des Blechs durchbrechen, in der Hoffnung, dass man das Loch von den Wachtürmen aus nicht sehen konnte. Auf dem Dachboden war es düster, doch direkt an der Mauer war die Dunkelheit noch schwärzer als der Schlagstock eines Gefängniswärters.
Im Licht eines Feuerzeugs begannen wir, ein Loch in das doppellagige Hartholz zu schneiden, mit dem das Blechdach unterlegt war. Ein langer Schraubenzieher, ein Stemmeisen und eine Blechschere waren unsere einzigen Werkzeuge. Nachdem wir damit eine Viertelstunde lang das Holz bearbeiteten, hatten wir ein winziges Loch geschaffen, kaum größer als ein menschliches Auge. Wenn man mit dem Feuerzeug in das Loch leuchtete, konnte man zwar bereits das Metalldach schimmern sehen, aber das Holz war zu hart und zu dick. Mit unserem Werkzeug würden wir Stunden brauchen, um uns durch das Dach hindurchzuarbeiten.
Doch so viel Zeit hatten wir nicht. Uns blieb schätzungsweise eine halbe Stunde, vielleicht etwas mehr, bevor die Wärter ihre Routinekontrolle durchführen würden. Und bis dahin mussten wir ein Loch durch Holz und Blech geschnitten haben, aufs Dach hinausgeklettert sein und uns mit dem Verlängerungskabel in die Freiheit hinuntergelassen haben. Die Zeit lief. Wir saßen fest. Und wir wussten, dass die Wärter jeden Moment das Loch im Zaun entdecken, die aufgebrochene Tür bemerken und die offene Falltür sehen würden. Sie könnten jeden Moment heraufkommen, in diese schwarze, schweißtreibende Höhle, und uns finden.
»Wir müssen zurück«, flüsterte mein Freund. »Wir kommen da nie durch. Wir müssen zurück und so tun, als sei nichts gewesen.«
»Wir können nicht zurück«, sagte ich ausdruckslos, obwohl mir der Gedanke auch schon gekommen war. »Die werden das Loch im Zaun und die eingeschlagene Tür sehen. Und dann ist klar, dass wir das waren. Wir sind die Einzigen, die hier Zugang haben. Wenn wir jetzt umdrehen, landen wir für ein Jahr im Bunker.«
»Der Bunker« war Gefängnisjargon für den Straftrakt. Die Bestrafungen dort gehörten damals zu den unmenschlichsten im ganzen Land. Im Straftrakt wurde wahllos und brutal misshandelt. Und wenn wir dorthin verlegt würden, weil wir versucht hatten, durch das Gebäude der Sicherheitskräfte zu fliehen – durch ihr eigenes Gebäude, die Zentrale der Straftraktwärter –, war eines gewiss: dass die Misshandlungen in unserem Fall weniger wahllos, dafür aber umso brutaler ausfallen würden.
»Scheiße, was machen wir bloß?«, flüsterte mein Freund. Sein ganzer Körper schrie und tobte, nur seine Stimme nicht: Schweiß tropfte ihm vom Gesicht, und seine Hände waren so nass vor Angst, dass ihm das Feuerzeug aus den Händen rutschte.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte ich.
»Und zwar?«
»Erstens: Wir benutzen die Leiter, die unten an die Wand gekettet ist. Wir gehen runter, knacken die Kette an der Leiter und binden das Kabel oben dran. Dann steigen wir hoch und seilen uns auf der anderen Seite mit dem Kabel ab.«
»Das ist alles?«
»Das ist Variante eins.«
»Aber … das sehen die doch«, wandte mein Freund ein.
»Ja.«
»Die schießen auf uns.«
»Klar.«
»Scheiße, Mann, die schießen auf uns.«
»Das hast du schon mal gesagt.«
»Verfluchte Scheiße«, zischte er. »Ich hab auch einen guten Grund, das noch mal zu sagen. Einen beschissen guten Grund sogar. Oder was?«
»Ich schätze, einer kommt durch, und einer kriegt eine Kugel ab. Fifty-fifty.«
Wir wogen einen Moment lang schweigend das Risiko ab.
»Das ist ein Scheißplan«, sagte mein Freund dann und erschauderte.
»Find ich auch.«
»Und was war Nummer zwei?«
»Hast du beim Reingehen gesehen, dass da eine Kreissäge steht? Im Erdgeschoss?«
»Ja …«
»Wenn wir die hier hochholen, kommen wir locker durch das Holz. Dann schneiden wir mit der Blechschere das Dachblech auf, und der Rest läuft nach Plan.«
»Aber die hören das Scheißding doch«, zischte mein Freund. »Ich hör sie sogar von hier oben telefonieren, Mann, so nah sind die. Wenn wir die verdammte Säge hier hochschleppen und anwerfen, klingt das wie ein Hubschrauber.«
»Ich weiß. Aber ich möchte wetten, dass die glauben, dass das die Handwerker sind, die jetzt weitermachen.«
»Die Handwerker sind doch gar nicht da.«
»Nein, aber an der Pforte ist gerade Schichtwechsel. Da kommen neue Wachleute. Es ist ein ziemliches Risiko, aber ich glaube, wenn wir es so machen, hören die einfach den üblichen Lärm und denken sich nichts weiter dabei. Außer
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