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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Beine zu zwingen für den Schritt nach draußen. Ich atmete so schwer, dass mir schwindelig und leicht übel war. Mein Herz schlug wie ein eingesperrter Vogel gegen meine Rippen. Nach einigen Augenblicken, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, wusste ich, dass ich es nicht tun konnte. Alles in mir, von der vernunftgesteuerten Vorsicht bis hin zur abergläubischen Angst, schrie mich an, nicht noch einmal herauszugehen. Ich konnte es nicht.
    Ich musste das Kabel kappen. Anders ging es nicht. Ich zog das Stemmeisen aus der Seitentasche meines Overalls. Es war sehr scharf, selbst nach unserem ausgiebigen Versuch, die hölzerne Barriere des Dachs damit zu durchdringen. Ich setzte es an der Stelle an, wo das Kabel unter der Tür durchlief. Als ich die Hand zum Schlag erhob, schoss mir durch den Kopf, dass eine Sicherung herausspringen könnte, wenn ich das Kabel kappte, was zu einem Alarm führen würde. Dann würde ein Wachmann kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Aber das war jetzt auch egal, ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht noch einmal ins Freie gehen, das war mir klar, und so ließ ich die Hand mit voller Kraft auf das Stemmeisen niedersausen. Das Kabel wurde sauber durchtrennt, und das Eisen bohrte sich in den Holzboden. Ich kickte die beiden Kabelenden von dem metallenen Werkzeug weg und wartete auf ein Alarmsignal. Es war nichts zu hören. Nichts. Ich war außer Gefahr.
    Ich griff nach dem Ende der Verlängerungsschnur, rannte wieder hoch und kletterte auf den Dachboden. Wir befestigten das Kabel neben unserem Ausstieg an einem tragenden Balken. Dann schob sich mein Freund durch die Öffnung. Als er halb durch war, blieb er stecken. Einen Moment lang kam er weder vorwärts noch rückwärts. Er begann heftig zu zappeln und sich mit aller Kraft nach oben zu stemmen, doch es half alles nicht. Er steckte fest.
    Da er das Loch mit seinem Körper vollständig ausfüllte, war es unten wieder stockdunkel. Ich tastete im Staub herum, bis ich das Feuerzeug fand. Als ich es anmachte, sah ich sofort, was ihn behinderte. Es war sein Tabakbeutel – ein dicker lederner Beutel, den er sich in einer der Hobbygruppen selbst genäht hatte. Ich wies ihn an stillzuhalten und riss mit dem Stemmeisen die Hintertasche seines Overalls auf. Als ich sie abriss, fiel mir der Lederbeutel direkt in die Hände, und mein Freund schob sich durch das Loch auf das Blechdach hinaus.
    Ich folgte ihm. Wie Würmer schlängelten wir uns in der Rinne nach vorn zu der zinnenbewehrten Gefängnismauer. Wir gingen auf die Knie und spähten über die Mauer. Ein paar Sekunden lang waren wir für alle sichtbar, doch die Wachen schauten nicht in unsere Richtung. Dieser Bereich des Gefängnisses war so etwas wie ein psychologischer blinder Fleck. Die Wachen auf den Türmen ignorierten ihn, weil sie davon ausgingen, dass keiner so verrückt war, am helllichten Tag über die Frontmauer des Gefängnisses fliehen zu wollen.
    Wir riskierten einen kurzen, hektischen Blick auf die Straße hinunter und sahen, dass vor dem Gefängnis eine Autokolonne stand. Es waren Lieferanten, die darauf warteten, durch den Haupteingang eingelassen zu werden. Da jedes Fahrzeug komplett durchsucht und mit Spiegeln sogar von unten kontrolliert wurde, bewegte sich die Kolonne nur langsam vorwärts. Mein Freund und ich kauerten in der Dachsenke und erörterten unsere Möglichkeiten.
    »Sieht schlecht aus da unten.«
    »Wir machen es trotzdem«, sagte er.
    »Wir müssen warten«, widersprach ich.
    »Scheiß drauf, los, schmeiß das Kabel rüber.«
    »Nein«, flüsterte ich. »Da unten sind zu viele Leute.«
    »Na und?«
    »Einer von denen meint garantiert, er muss den Helden spielen.«
    »Arsch lecken. Soll er doch. Den rennen wir um.«
    »Es sind zu viele.«
    »Ach, scheiß doch auf die alle. Wir stürmen einfach mittendurch. Die werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Wir oder die, Kumpel.«
    »Nein«, sagte ich mit Nachdruck. »Wir müssen warten. Wir können erst über die Mauer, wenn niemand mehr da unten ist. Wir warten jetzt.«
    Und das taten wir, eine Ewigkeit von zwanzig Minuten lang. Ich robbte immer wieder nach vorn, um über die Mauer zu spähen, wobei ich jedes Mal Gefahr lief, gesehen zu werden. Dann, endlich, war die Straße in beiden Richtungen leer. Ich gab meinem Freund ein Zeichen. Er kroch über die Mauer und verschwand. Ich schob mich nach vorn, um nach ihm zu sehen. Ich rechnete damit, dass er sich noch am Kabel hinunterließ, doch er war schon auf der

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