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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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…« Sie ertränkte den Rest ihres Satzes im Wodka.
    »Sie sagten ihr, Sharon sei gestorben?«
    »Dass sie einen Unfall erlitten hätte und nicht wiederkäme.«
    »Was für einen Unfall?«
    »Einfach einen Unfall.«
    »Sherry in ihrem Alter musste annehmen, dass Sharon ertrunken war - dass sie ihre Schwester getötet hatte.«
    »Nein, unmöglich - lächerlich. Sie hatte Sharon überleben sehen - das war Tage danach!«
    »In dem Alter ändert das alles nichts daran.«
    »O nein. Sie können mich nicht anklagen … Nein! Ich habe nicht - ich hätte Sherry niemals so etwas Grausames angetan!«
    »Sie fragte immer wieder nach Sharon, nicht wahr?«
    »Eine Zeitlang. Dann hörte sie auf, und alles war vergessen.«
    »Hörte sie auf, an Albträumen zu leiden?«
    Ihr Gesichtsausdruck zeigte mir, dass all die Jahre meiner Ausbildung nicht vergeudet waren. »Nein, diese … Wenn Sie alles wissen, warum muss ich das denn alles durchmachen?«
    »Hier ist noch etwas, was ich weiß: Nachdem Sharon fort war, hatte Sherry schreckliche Angst - Trennungsangst ist die beherrschende Angst mit drei. Und ihre Angst wurde immer größer. Sie fing an, um sich zu schlagen, noch gewalttätiger zu werden. Fing an, auf Sie loszugehen.«
    Wieder gut geraten. »Ja!«, sagte sie, bereit, das Opfer zu sein. »Sie bekam die fürchterlichsten Wutanfälle, die ich je gesehen hatte. Mehr als Wutanfälle - tierische Anfälle. Ließ es nicht zu, dass ich sie in den Arm nahm, trat mich, biss mich, spuckte mich an und machte Dinge kaputt - eines Tages ging sie in mein Schlafzimmer und zerbrach meine Lieblings-Tang-Vase. Vor meinen Augen. Als ich sie ausschimpfte, packte sie eine Nagelschere und stürzte sich auf meinen Arm. Er musste genäht werden!«
    »Was haben Sie dann unternommen?«
    »Ich fing an, ernsthafter über ihre Herkunft nachzudenken, ihre … Biologie. Ich fragte Bill. Er sagte mir, ihre Abkunft sei nicht … die beste. Aber ich wollte mich nicht entmutigen lassen und wollte sie unbedingt bessern. Ich dachte, ein Ortswechsel könnte dabei helfen. Ich schloss dieses Haus ab und nahm sie mit mir zurück nach Palm Beach. Mein Haus dort ist … ruhig. Seltene Palmen, liebliche große Fenster zur Bucht - eins von Addison Mizners besten Häusern. Ich dachte, die Atmosphäre, der Rhythmus der Wellen würden sie beruhigen.«
    »Ein paar tausend Meilen zwischen ihr und Willow Glen«, bemerkte ich.
    »Nein! Das hatte damit nichts zu tun. Sharon war aus ihrem Leben heraus.«
    »War sie das?«
    Sie starrte mich an. Fing an zu weinen, aber ohne Tränen, als ob sie ein trockener Brunnen wäre und keine Reserven mehr hätte.
    Ich habe mein Bestes getan«, sagte sie, und schließlich mit würgender Stimme: »Habe sie in den besten Kindergarten geschickt - den allerbesten. Ich hatte ihn selbst besucht. Sie bekam Tanzstunden, Reitunterricht, Sozialerziehung, Bootsfahrten, Juniorkotillontanzen. Aber alles umsonst. Sie konnte nicht mit anderen Kindern zusammen sein; die Leute fingen an zu reden. Ich fand, ich müsste mich persönlich mehr um sie kümmern, und widmete mich ihr fortan völlig. Wir gingen nach Europa.«
    Noch ein paar tausend Meilen. »Ihre Etagenwohnung in Rom.«
    »Mein Atelier«, sagte sie. »Henry schenkte es mir, als ich Kunst studierte. Um dorthin zu kommen, machten wir die Grand Tour - London, Paris, Monte Carlo, Gstaad, Wien. Ich kaufte ihr einen entzückenden Satz Miniaturgepäck passend zu meinem - sogar einen kleinen Pelzmantel mit passendem Hut. Sie war ganz verrückt darauf, sich fein anzuziehen. Sie konnte so lieb und charmant sein, wenn sie wollte. Schön und mit einer Haltung wie eine königliche Hoheit. Ich wollte sie mit den feinen Dingen des Lebens vertraut machen.«
    »Um sie für ihre Herkunft zu entschädigen?«
    »Ja! Ich weigerte mich, sie als unverbesserlich anzusehen. Ich liebte sie!«
    »Wie verlief die Reise?«
    Sie antwortete nicht.
    »In all der Zeit haben Sie nie daran gedacht, sie und Sharon wieder zusammenzubringen?«
    »Es … ging mir durch den Kopf. Aber ich wusste nicht, wie. Ich dachte nicht, dass es gut war … Sehen Sie mich nicht so an! Ich tat das, was ich für am besten hielt!«
    »Haben Sie je an Sharon gedacht - wie es ihr ging?«
    »Billy berichtete mir über sie. Ihr ging’s gut, einfach gut. Es waren liebe Leute.«
    »Sie sind es. Und sie haben einen verdammt guten Job getan, sie aufzuziehen, wenn man bedenkt, welche Mittel ihnen zur Verfügung standen. Aber haben Sie wirklich gedacht, dass die

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