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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ich wären - wie war das Wort, das er benutzte? Eine Art Zweiklang, eine Dyade. Eine destruktive Dyade. Zwei Menschen auf einer psychologischen Wippe, die sich gegenseitig auszuschalten versuchten. Ihr Verhalten beeinflusse meines, meines beeinflusse ihres. Damit sie aufhöre, diese schrecklichen Dinge zu tun, müssten wir unsere Kommunikation egalisieren, eine emotionale Homöostase finden oder so einen Unsinn. Ich hatte das Gefühl, dass er mich einfach kontrollieren wollte, aber ich machte nicht mit. Doch er war penetrant. Immer wieder dasselbe, er ließ nicht locker. Trotzdem gelang es mir, ihm Widerstand zu leisten.« Stolzes Lächeln. »Dann aber wurde es viel schlimmer, und ich gab nach.«
    »Schlimmer inwiefern?«
    »Sie fing an … Teenagerstreiche zu spielen.«
    »Wegzulaufen?«
    »Zu verschwinden. Manchmal für mehrere Tage - völlig ohne Warnung. Ich schickte Ramey hinter ihr her, aber er fand sie selten. Dann irgendwann kam sie wieder angekrochen, gewöhnlich mitten in der Nacht, mit wirrem Haar, schmutzig, heulend und versprach, es nie wieder zu tun. Aber sie tat es immer wieder.«
    »Sprach sie darüber, wo sie gewesen war?«
    »Oh, am nächsten Morgen prahlte sie und erzählte mir furchtbare Geschichten, um mich zu quälen - über die Brücke sei sie gewesen im Farbigenviertel, solche Geschichten. Ich wusste nie, wie viel ich ihr glauben sollte - wollte überhaupt nichts davon glauben. Später, als sie alt genug zum Autofahren war, fuhr sie in einem meiner Wagen los und - verschwand. Wochen später trafen dann die Rechnungen per Kreditkarten ein und die Strafzettel, und ich stellte fest, wo sie überall herumgereist war - Georgia, Louisiana, langweilige Kleinstädte, von denen ich noch nie gehört hatte. Was sie dort tat, weiß Gott allein. Einmal fuhr sie zum Mardi Gras und kam grün angemalt wieder zurück. Ich nahm ihr schließlich ihre Fahrprivilegien weg, als sie meinen Lieblingswagen ruinierte - einen entzückenden, alten lila Bentley mit verzierten Fenstern. Henrys Geschenk zu unserem zehnten Hochzeitstag. Sie fuhr ihn ans Meer, ließ ihn einfach da und ging zu Fuß weiter. Aber sie fand immer wieder einen Weg, um abzuhauen.«
    So oder so. Sherry triumphierte immer.
    Kein Lächeln jetzt.
    Ich erinnerte mich, was Del mir über die Einstiche gesagt hatte. »Wann bekam sie mit den Drogen zu tun?«
    »Als sie dreizehn war, hatte Paul ihr Beruhigungsmittel verschrieben.«
    »Er war kein Arzt, durfte gar nichts verschreiben.«
    Sie zuckte die Achseln. »Er hat ihr diese Mittel besorgt. Verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel.«
    »Was ist mit Straßendrogen?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Nichts konnte sie von dem abhalten, was sie tun wollte.«
    »Wie oft ging sie in dieser Zeit zu Kruse?«
    »Wann sie wollte. Ich musste sogar zahlen, wenn sie nicht hinging.«
    »Was war offiziell verabredet?«
    »Unverändert - vier Sitzungen in der Woche.«
    »Haben Sie ihn je gefragt? Gefragt, warum die jahrelange Behandlung bei ihr nichts gebessert hatte?«
    »Er - er war schwer zugänglich. Als ich das Thema schließlich anschnitt, wurde er sehr zornig, sagte, sie sei unheilbar gestört, würde niemals normal sein, würde ihr ganzes Leben lang die Behandlung brauchen, nur um nicht noch weiter abzurutschen. Und dass es mein Fehler sei - ich hätte zu lange damit gewartet, sie zu ihm zu bringen, könnte nicht annehmen, einen Schrotthaufen in die Reparaturwerkstatt zu fahren und dann einen Rolls-Royce wieder herauszukriegen. Dann fing er wieder an, mich unter Druck zu setzen, ich solle selbst zur Analyse kommen. Sherry war immer schlimmer geworden. Schließlich brach mein Widerstand - ich erklärte mich einverstanden, mit ihm zu reden.«
    »Worüber?«
    »Den üblichen Unsinn. Er wollte von meiner Kindheit hören, ob ich nachts träumte, warum ich Henry geheiratet hatte. Was ich für Gefühle hätte. Er sprach immer mit einer leisen, eintönigen Stimme, hatte glänzende Dinge in seiner Praxis - kleine Spielzeuge, die sich hin- und herbewegten. Ich wusste, was er tat - er versuchte, mich zu hypnotisieren. Jeder in Palm Beach wusste, dass er so was machte. Er tat es bei Partys, beim Ball der Gesellschaft für geplante Elternschaft - ließ zum Spaß Leute wie Enten quaken. Ich beschloss, nicht nachzugeben. Es war schwierig - seine Stimme war wie warme Milch. Aber ich kämpfte dagegen an, sagte ihm, ich sähe nicht, was das alles mit Sherry zu tun hätte. Er drängte mich unablässig.

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