Sharon: die Frau, die zweimal starb
Schließlich platzte ich heraus damit, dass er seine Zeit verschwendete, sie wäre nicht mal meine, sie sei das Produkt der schlechten Gene irgendeiner Schlampe. Da hörte er auf mit seiner ewigen Litanei und sah mich seltsam an.«
Sie seufzte und schloss die Augen. »Ich bekam Angst. Während ich ihm Widerstand zu leisten versuchte, hatte ich zu viel geredet und ihm gerade das verraten, was er brauchte, um mich auszubluten.«
»Sie hatten ihm nie gesagt, dass sie adoptiert war?«
»Ich hatte es keinem Menschen gesagt - von dem Tag an, an dem ich … sie bekam.«
»Wie reagierte er darauf, als er das hörte?«
»Zerbrach seine Pfeife. Haute mit der Hand auf den Schreibtisch. Nahm mich bei den Schultern und schüttelte mich. Sagte mir, ich hätte all diese Jahre seine Zeit vergeudet und Sherry schwer geschadet. Sagte, mir läge nichts an ihr, ich sei eine schreckliche Mutter, eine egoistische Person - mein Verhalten sei pervers. Mein Schweigen machte er dafür verantwortlich, dass sie so geworden sei! Er redete immer so weiter, attackierte mich! Ich war in Tränen aufgelöst, versuchte die Praxis zu verlassen, aber er stand im Eingang und versperrte mir den Weg, beschimpfte mich unablässig. Ich drohte ihm, ich würde schreien. Er lächelte und sagte: ›Na los, morgen weiß es dann ganz Palm Beach. Sherry auch.‹ Im gleichen Augenblick, in dem ich aus der Tür ginge, würde er sie anrufen und ihr sagen, wie ich sie angelogen hätte. Damit brach er meinen Widerstand. Ich wusste: Wenn sie das erfuhr, war alles zu Ende. Ich bettelte ihn an, es ihr nicht zu sagen, er möge doch Mitleid haben. Er lächelte, ging hinter seinen Schreibtisch und steckte sich die Pfeife an. Saß einfach da und paffte und sah mich an, als ob ich Dreck wäre. Ich wimmerte wie ein Baby. Schließlich sagte er, er würde es sich noch einmal überlegen unter der Bedingung, dass ich von nun an ehrlich wäre - völlig offen. Ja, ich erzählte ihm alles.«
»Was genau haben Sie ihm erzählt?«
»Dass der Vater unbekannt war, die Mutter eine Hure, die sich als Schauspielerin ausgegeben hatte. Dass sie bald nach der Geburt des Babys gestorben war.«
»Sie haben ihm immer noch nichts von Sharon erzählt?«
»Nein, nein.«
»Sie hatten keine Angst, dass Sherry es ihm sagen würde?«
»Wie konnte sie ihm etwas sagen, was sie nicht wusste? Es war aus ihrem Kopf heraus - sie hatte es vergessen. Ich bin dessen sicher, weil sie es nie erwähnt hat, und wenn sie wütend war, warf sie mir alles an den Kopf.«
»Was wäre, wenn sie zufällig ein altes Blaues Buch aufgeschlagen hätte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie mochte keine Bücher, las nicht - lernte nie, gut zu lesen. Irgendeine Blockierung, die die Hauslehrer nicht durchbrechen konnten.«
»Aber Kruse fand es trotzdem heraus. Wie geschah das?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Aber ich wusste, wie: bei einem Beratungstag für Collegestudenten auf Long Island, als er seine frühere Patientin traf. Und feststellte, dass sie überhaupt nicht seine frühere Patientin war, sondern eine spiegelverkehrte Kopie …
Sie sagte: »Er hat mich jahrelang bluten lassen, das Monster. Ich hoffe, er krümmt sich im ewigen Höllenfeuer.«
»Warum hat ihr Bruder Billy das nicht für Sie gelöst?«
»Ich … ich weiß es nicht. Ich hab’s Billy erzählt. Er sagte mir immer, ich solle Geduld haben.«
Sie wandte das Gesicht von mir ab.
Ich goss ihr mehr Martini ein, aber sie trank ihn nicht, hielt nur ihr Glas in der Hand und drückte das Kreuz durch. Ihre Augen fielen zu, und ihr Atem wurde flach. Sie war das Trinken gewöhnt, aber es würde nicht lange dauern, bis sie einschlief. Ich überlegte mir meine nächste Frage genau, damit sie die größte Wirkung hätte. Doch plötzlich ging die Tür auf.
Zwei Männer betraten das Sonnenzimmer. Der erste war Cyril Trapp in einem weißen Polohemd, gebügelten Designerjeans, Topsider-Turnschuhen und einer schwarzen Membersonly-Jacke. Kalifornisch lässig, aber die Spannung zeichnete sich in seinem weiß gefleckten Gesicht ab - und dem blauen Stahlrevolver in der rechten Hand.
Der zweite Mann ließ die Hände in den Taschen, als er das Zimmer mit dem erfahrenen Auge eines Spielcasinoleiters prüfte. Älter, Mitte sechzig, groß und breit - grobe Knochen, gepolstert mit hartem Fett. Er trug einen hirschlederfarbenen Westernanzug, braunes Seidenhemd, Schnurkrawatte, zusammengehalten von einer großen Klammer aus Rauchtopas, erdnussbutterfarbene Schuhe aus
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