Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
ich mich einverstanden erklärte, erfuhr ich mehr. Und gewann Zeit. Ich sagte: »Schießen Sie los, klären Sie mich auf, Mr. Vidal.«
    »Ausgezeichnet. Lassen Sie es uns wie Gentlemen tun, bei einem Abendessen.« Er drückte auf etwas, was vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Die Wand mit der Waffensammlung drehte sich halb um ihre Achse, und ein wandschrankgroßer Durchgang mit einer Fliegendrahttür wurde sichtbar, die er öffnete und so frische Luft hereinließ.
    Wir traten auf einen langen überdachten Innenhof, das Dach ruhte auf gedrechselten Säulen aus graubraunem Holz, den Boden bedeckten staubfarbene mexikanische Kacheln. Dickstämmige, in Tontöpfen wurzelnde Bougainvilleen wanden sich ihren Weg um die Säulen herum und hinauf zum Dach, wo sie sich ausbreiteten. Strohkörbe voll Eselsschwanz und Crassula argentes hingen von den Dachsparren. Ein weißer, runder Tisch war von himmelblauem Damast bedeckt und mit zwei Gedecken versehen: irdene Teller, Bestecke aus getriebenem Silber, Kristallpokale, in der Mitte ein Tafelschmuck aus getrockneten Kräutern und Blumen. Er war sich meiner »Wahl« sicher gewesen.
    Von irgendwoher erschien ein mexikanischer Diener und zog meinen Stuhl vom Tisch zurück. Ich ging an ihm vorbei, überquerte den Innenhof und trat ins Freie hinaus. Die Sonne stand kurz vor dem Untergehen, aber die Hitze war so stark, als ob es Mittag wäre.
    Ich betrachtete das Gebäude aus genügend großem Abstand, dass ich es ganz übersehen konnte: lang, niedrig, einstöckig, die Mauern so verputzt, dass es wie ein Lehmziegelhaus aussah, die Fenster mit Leisten aus dem gleichen graubraunen Holz umrahmt, aus dem die Säulen waren. Geflieste Gehwege schnitten einen meterbreiten Streifen durch ein oder zwei Morgen Rasen, der von gelben Gazaneen umrandet war, daneben trockener Wüstenstaub und ein leerer Pferdepferch, dann wieder Staub und Sand, meilenweit, die biskuitfarbene Einöde nur unterbrochen von Gruppen von Aloen, Yucca brevifolia oder Joshua-Bäumen sowie verschiedenfarbigen Flecken aschener Schatten.
    Und hinter allem die Ursache der Schatten: Granitberge. Majestätisch, mit schwarzen Spitzen, messerkantenscharf gegen den saphirblauen Himmel. Postkartenberge, so perfekt, dass sie einem Fotografen als Hintergrund dienen könnten.
    Meine Augen schweiften hinunter zu einem bestimmten Fleck auf dem Rasen, suchten dort eine hölzerne Gartenbank. Nichts. Aber meine Erinnerung stellte dort trotzdem eine hin.
    Ein Fleck zum Posieren.
    Zwei kleine Mädchen in Cowgirlanzügen, die Eis aßen. Ich sah zurück zu Vidal. Er setzte sich, entfaltete die Serviette, sagte etwas zu dem Diener, als der sein Weinglas füllte.
    Der Diener lachte, füllte mein Glas und ging.
    Der ehemalige Billy-the-Kuppler zeigte auf meinen Stuhl. Ich warf noch einen Blick auf die Berge, sah jetzt nur noch Stein und Sand. Das Spiel von Licht und Schatten auf einer leblosen Oberfläche.
    Alle Erinnerungen ausgelöscht.
    Vidal winkte.
    Ich ging zum Innenhof zurück.

34
    Vidal aß gierig, zwanghaft, eine Kobra mit tadellosen Manieren. Hieb ein auf sein Essen, schnitt es in winzige Stücke und stippte es in Püree, bevor er es zu sich nahm. Guacamole-Avocadosoße, die der Diener am Tisch mit einem Stößel in einem rohen Steinmörser zubereitete. Ein Salat aus wilden Kräutern und marinierten Zwiebeln. Hausgemachte Maistortillas, frische Butter, am Spieß gebratene Schwertfischsteaks, sechs Arten Salsasoße, gebratene Schweinelende in einer süßen, pikanten Soße. Ein Chardonnay und ein Pinot Noir, die, wie er mir erklärte, in der Magna-eigenen Kelterei auf Flaschen gezogen und nur für den eigenen Verbrauch bestimmt waren.
    Ein paarmal sah ich Vidal das Gesicht verzerren, nachdem er geschluckt hatte, und fragte mich, wie viel von seinem Vergnügen geschmacklicher Art war und wie viel Zufriedenheit, dass sein Mund noch funktionierte.
    Er akzeptierte eine zweite Portion Schwein, bevor er mein unberührtes Essen sah.
    »Nicht nach Ihrem Geschmack, Doktor?«
    »Ich würde lieber aufgeklärt als abgefüttert werden.«
    Lächeln. Fleischstücke in Würfeln. Püree.
    »Wo sind wir?«, fragte ich. »Mexiko?«
    »Mexiko«, sagte er, »ist ein Geisteszustand. Jemand, der originell war, hat das mal gesagt, obwohl ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern kann, wer es war - wahrscheinlich Dorothy Parker. Sie hat solche originellen Sachen gesagt, nicht wahr?«
    Schnitt. Kauen. Schlucken.
    »Warum hat Sharon sich umgebracht?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher