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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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großartig entwickeln«, sagte ich. »Auf lange Sicht ist dieses Zeugs irrelevant.«
    »Es ist nett, dass Sie das sagen, Dr. Delaware.«
    »Alex.«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Vielen Dank, dass Sie sich um mich gekümmert haben, Alex. Ich glaube, Sie sollten jetzt lieber wieder zurück zum Unterricht gehen.«
    »Der Unterricht ist beendet. Sind Sie wirklich okay?«
    »Ich bin okay« Sie verlagerte das Gewicht von einer Hüfte auf die andere und versuchte, die Bücher fester zusammenzufassen.
    »Hier, lassen Sie mich Ihnen mit den Wälzern helfen.« Etwas in ihr brachte in mir den Ritter Lanzelot heraus. »Wo ist Ihr Wagen?«
    »Ich gehe zu Fuß. Ich wohne im Studentenheim. In der Curtis Hall.«
    »Ich kann Sie zur Curtis Hall fahren.«
    »Es ist wirklich nicht nötig.«
    »Es wäre mir ein Vergnügen.«
    »Nun, dann«, sagte sie. »Dann gern.«
    Ich ließ sie am Studentenheim hinaus und verabredete mich mit ihr für den folgenden Sonnabend.
     
 
    Sie wartete am Bordstein, als ich sie abholen kam, trug einen blauen Kaschmirpullover, einen schwarz-gelben Schottenrock, schwarze Kniestrümpfe und Halbschuhe mit flachen Absätzen. Ich öffnete ihr die Autotür. In der gleichen Sekunde, als meine Hand das Lenkrad berührte, lag ihre Hand darauf, warm und fest.
    Wir aßen in einer der verräucherten, lauten Bier-und-Pizza-Buden zu Abend, wie man sie am Rande eines jeden Universitätsgeländes findet - der besten, die ich mir leisten konnte. Wir fanden einen Ecktisch, sahen uns Road-Runner-Cartoons an, aßen und tranken und lächelten einander zu.
    Ich konnte nicht die Augen von ihr lassen, wollte mehr von ihr erfahren, eine unmögliche sofortige Vertrautheit zwischen uns herstellen. Sie fütterte mich häppchenweise mit Informationen über sich selbst: Sie war einundzwanzig, an der Ostküste aufgewachsen, hatte dort an einem kleinen Frauencollege Examen gemacht und war in den Westen gekommen, um hier ihre Ausbildung abzuschließen.
    Als ich mich an die Anspielungen der anderen Studenten erinnerte, fragte ich sie nach ihrer Beziehung zu Kruse. Sie erklärte, er sei ihr Studienberater; so wie sie es sagte, klang es unwichtig. Als ich sie fragte, was er für ein Mensch sei, meinte sie, er wäre dynamisch und kreativ und wechselte dann wieder das Thema.
    Ich ließ es sein, blieb aber neugierig. Nach der hässlichen Sitzung hatte ich mich nach Kruse erkundigt und erfahren, dass er einer der Klinikmentoren war, ein Neuankömmling, der sich bereits einen Ruf als Schürzenjäger und Angeber erworben hatte.
    Nicht die Art von Mentor, die ich für jemand wie Sharon richtig gefunden hätte. Dann wiederum: Was wusste ich schon über sie? Darüber, was richtig für sie war?
    Ich versuchte, mehr über sie zu erfahren. Sie wich flink meinen Fragen aus, ich bekam sie niemals richtig ins Visier.
    Ich empfand einige Enttäuschung, verstand einen Augenblick lang die Wut der anderen Studenten. Dann erinnerte ich mich daran, dass wir uns gerade erst kennengelernt hatten; ich war ungeduldig, erwartete zu viel zu schnell. Ihre Haltung deutete auf vermögende Eltern, ein Aufwachsen in konservativen Kreisen und Geborgenheit. Genau die Art von familiärem Hintergrund, in dem es als gefährlich angesehen wurde, sofort Vertrautheit herzustellen.
    Und doch streichelte ihre Hand die meine, und ihr Lächeln sagte offen, dass sie mich mochte. Sie gab sich überhaupt nicht kühl und abweisend.
    Wir redeten über Psychologie. Sie kannte sich aus, lenkte aber immer zu meinem überlegenen Wissen ab. Ich spürte eine wirkliche Tiefe hinter ihrem Suzy-Creamcheese-Äußeren. Und noch etwas anderes: einen angenehmen Charakter. Eine damenhafte Feinheit, die mich angenehm überraschte in einer Zeit, in der sich der weibliche Zorn mit einem Schwall obszöner Redensarten als Befreiung ausgab.
    Mein Diplom besagte, dass ich mit vierundzwanzig Jahren ein Doktor des Geistes, der Seele, des Bewusstseins und ein großer Kenner der menschlichen Beziehungen war. Aber Beziehungen, Verhältnisse machten mir immer noch Angst, und auch Frauen machten mir immer noch Angst. Seit meiner Pubertät hatte ich mich zu einer Lebensweise gezwungen, die aus Lernen, Jobben und wiederum Lernen bestand, so hatte ich mich mühsam aus dem Fabrikarbeiterfegefeuer hinaufzuarbeiten versucht und gemeint, dass der menschliche Faktor sich irgendwann irgendwie in meine anderen Karriereziele einordnen würde. Aber immer neue Ziele tauchten auf, und mit vierundzwanzig hatte ich es noch immer

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