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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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leid, dass ich mal wieder schnüffeln musste - Macht der Gewohnheit.«
    Ist schon okay. Bis bald wieder, Ned.«
     
 
    Um halb elf ging ich im Dunkeln spazieren, schleppte mich die Schlucht bis Mulholland hinauf und lauschte den Heuschrecken und Nachtvögeln. Als ich eine Stunde später nach Hause kam, läutete das Telefon.
    »Hallo.«
    »Dr. Delaware, hier spricht Yvette von Ihrem Auftragsdienst. Ich bin froh, dass ich Sie erreiche. Vor zwanzig Minuten kam ein Anruf für Sie von Ihrer Gattin oben in San Luis Obispo. Sie hat eine Nachricht hinterlassen, ich soll’s Ihnen unbedingt ausrichten.«
    Ihre Gattin. Schlag-auf-den-Sonnenbrand. Sie machen seit Jahren denselben Fehler. Früher war’s noch lustig.
    »Was für eine Nachricht?«
    »Sie sei unterwegs und schwer zu erreichen. Sie setzt sich mit Ihnen in Verbindung, sobald sie kann.«
    »Hat sie eine Nummer hinterlassen?«
    »Nein, hat sie nicht, Dr. Delaware. Sie wirken müde. Haben Sie zu viel gearbeitet?«
    »So ungefähr.«
    »Passen Sie auf sich auf, Dr. Delaware.«
    »Sie auch.«
    Unterwegs. Schwer zu erreichen. Es hätte eigentlich wehtun müssen. Aber ich fühlte mich erleichtert, als wäre ich eine Last los.
    Seit Sonnabend hatte ich kaum an Robin gedacht. Hatte mich fast nur mit Sharon beschäftigt. Ich kam mir wie ein Ehebrecher vor, beschämt, aber aufgekratzt.
    Ich kroch ins Bett und umarmte das Kopfkissen. Um zwei Uhr fünfundvierzig morgens wachte ich auf, nervös und durcheinander. Nachdem ich etwas übergezogen hatte, stolperte ich zur Garage hinunter und startete den Seville. Ich fuhr nach Süden in Richtung Sunset, dann nach Osten durch Beverly Hills und Boystown, zur westlichen Spitze von Hollywood und Nicholas Canyon.
    Zu dieser Stunde war sogar der Strip wie ausgestorben. Ich ließ die Fenster offen und die scharfe kalte Luft an meinem Gesicht nagen. Am Fairfax bog ich nach links ab, fuhr nach Norden und kam auf den Hollywood Boulevard.
    Wenn man vom Boulevard spricht, denken die meisten Leute sofort entweder an die guten alten Zeiten mit Grauman’s Chinese Theater, an die Stars, die da herumliefen, Premieren mit schwarzen Krawatten, eine neonüberflutete Nachtszene. Oder sie denken an die Straße, wie sie heute ist - dreckig und gemein, Tatort wahllos verübter Verbrechen.
    Aber westlich davon, jenseits von La Brea, zeigt der Hollywood Boulevard ein anderes Gesicht: eine zwei Kilometer lange, von Bäumen gesäumte Allee, relativ anständige Wohngegend, guterhaltene Apartmenthäuser, alte, stattliche Kirchen und oberhalb von gutgepflegten Rasen nur wenig verfallene Villen. Auf diesen Vorortfleck hinunter sieht man von einem Teil der Santa-Monica-Bergkette, die sich wie ein geknicktes Rückgrat durch L.A. windet. In dieser Gegend Hollywoods scheinen die Berge bedrohlich hervorzuquellen und sich gegen die brüchige Haut der Zivilisation anzustemmen.
    Nicholas Canyon beginnt ein paar Querstraßen östlich von Fairfax, ein anderthalb Fahrspuren breiter, kurvenreicher Asphaltstreifen, der an der nördlichen Seite des Boulevards beginnt und neben einem im Sommer ausgetrockneten Bach herläuft. Kleine, rustikale Häuser liegen hinter dem Bach, versteckt hinter Buschwerk, zugänglich nur über selbstgebaute Fußbrücken. Ich kam an einer Pumpstation des Versorgungsunternehmens für Wasser und Energie vorbei, dessen hohe Bogenlampen ein gleißendes Licht abgaben. Genau hinter der Station befand sich ein sumpfiges Überflutungsgebiet der Wasserbehörde, das von einem Maschendrahtzaun umgeben war, dann folgten vereinzelte größere Häuser auf flacherem Grund.
    Etwas Wildes rannte schnell über die Straße und tauchte im Buschwerk unter. Ein Coyote? Sharon hatte früher einmal erzählt, dass sie Coyoten gesehen hätte. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich ihr glauben sollte.
    Früher. Was zum Teufel glaubte ich denn zu gewinnen, wenn ich die alten Zeiten ausbuddelte? Indem ich an ihrem Haus vorbeifuhr wie ein verrückter Teenager, der einen Blick von seiner Geliebten zu erhaschen hoffte?
    Dumm. Neurotisch.
    Aber ich sehnte mich nach etwas Greifbarem, etwas, was mir versicherte, dass sie einmal wirklich dagewesen war. Dass ich da war. Ich fuhr weiter.
    Der Nicholas Canyon knickte nach rechts ab. Die geradeaus weiterführende Straße nannte sich nun Jalmia Drive und verengte sich zu einer einzigen Fahrspur, die unter einem dichten Blätterdach noch dunkler aussah. Die Straße wand sich hin und her, fiel ab und endete schließlich ohne warnendes

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