Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
dass er zu viel trank, Drogen nahm, sie schlecht behandelte. Ich habe mir viel Zeit für sie genommen und ihr gut zugeredet, ihr klarzumachen versucht, was er für ein Versager war, ich fand, sie sollte ihm den Laufpass geben. Das tat sie natürlich nicht. Eine von diesen passiven Typen; der Vater hatte sie missbraucht, und nun blieb sie andauernd am Papa-Ersatz hängen. Dann sagte sie mir, der Armleuchter hätte sich bei der Arbeit verletzt, hätte Rückenschmerzen und wollte auf Schadenersatz klagen. Sein Anwalt hatte ihm sogar vorgeschlagen, er solle sich einen Psychiater suchen - ob ich einen wüsste. Ich dachte: Hier ist eine Chance, dass ihn jemand wieder zusammenstaucht, und schickte ihn zu Sharon, erzählte ihr von seinen Problemen. Junge, hat sie sich seiner angenommen. Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
    »Er war heute früh oben an ihrem Haus.«
    »Oben an ihrem Haus? Sie hat so einem Schweinehund ihre Adresse gegeben? Was für eine Idiotin.«
    »Sie hatte dort eine Praxis.«
    »Ach ja - das hat in der Zeitung gestanden. Ist eigentlich logisch, denn sie hat ihre Praxis hier im Haus geräumt, nachdem ich sie wegen ihrer Techtelmechtel zur Rede gestellt hatte. Haben Sie eine Diagnose, was Rasmussen angeht?«
    »Eine Persönlichkeitsstörung. Möglicherweise gewalttätige Neigungen.«
    »Mit anderen Worten: ein gefährlicher Bursche. Na, großartig. Er ist das schwächste Glied in der Kette, ein Frauenhasser mit geringer Selbstbeherrschung. Und hat sich bestimmt schon einen Winkeladvokaten zugelegt. Wundervoll.«
    »Er wird nicht wegen sexueller Belästigung klagen«, sagte ich. »Das tun Männer selten. Zu peinlich.«
    »Frontalangriff auf den alten Machismo? Ich hoffe, Sie behalten recht. Bisher hat sich noch nichts gerührt. Aber das heißt nicht, dass sie nichts unternehmen werden. Selbst wenn mir die Quälerei bei Gericht erspart bleiben sollte - sie hat meinen Ruf schon mächtig angekratzt -, eine Patientin erzählt’s zehn anderen weiter. Und keine von den Aussteigerinnen hat die Behandlung bezahlt - was schon allein bei den Laborrechnungen in die Tausende geht. Ich bin nicht etabliert genug, um solche Verluste so einfach abschreiben zu können - es herrscht eine Ärzteschwemme hier auf der West Side. Wo praktizieren Sie?«
    »Auch hier. Aber ich behandle Kinder.«
    »Oh.« Sie trommelte mit den Fingernägeln auf dem Rand ihrer Teetasse herum. »Ich komme Ihnen wahrscheinlich ganz schön geldgierig vor, was? Da sitzen Sie und reden von Altruismus, Patienten retten wollen und all dem guten Hippokrates-Zeugs. Und ich denke nur an meine Rückendeckung. Aber ich entschuldige mich deswegen nicht, denn wenn ich nicht an mich selbst denke, wird es niemand sonst für mich tun. Als ich von der Northwestern-Uni zu meinem Praktikum am Harbor General Hospital hierherkam, lernte ich den großartigsten Kerl auf der Welt kennen, heiratete ihn drei Wochen später. Ein Drehbuchautor, der am Krankenhaus recherchierte, um das Elend dort kennenzulernen. Wumm! Liebe auf den ersten Blick. Plötzlich hatte ich ein Haus in Playa Del Rey, bis dass der Tod uns scheiden würde. Er sagte, er fände mich so toll, weil ich Ärztin wäre, schwor, er würde mich niemals verlassen. Zwei Jahre später verließ er mich. Räumte unser Bankkonto ab und ging mit irgendeinem Flittchen nach Santa Fe. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um da wieder rauszukommen.«
    Sie blickte in ihre Tasse, als wollte sie die Teereste ergründen. »Ich habe so wahnsinnig hart gearbeitet, um es bis hierher zu schaffen, und dann soll ich mir alles von so einer Nymphomanin kaputtmachen lassen - nein, ich werde diese Männer nicht anrufen, die sie gevögelt hat. Es sind große Jungs - sie können damit zurechtkommen. Haben’s inzwischen wahrscheinlich in eine Eroberung verwandelt und freuen sich, was sie für tolle Hengste sind. Lassen Sie diese Hunde besser auch schlafen, Dr. Delaware. Und was Sharon angeht: Friede ihrer Asche.«
    Sie hatte zuletzt immer lauter gesprochen. Die Leute starrten herüber. Sie merkte es und dämpfte ihren Tonfall. »Wie kann so jemand eigentlich Therapeutin werden? Werden die Leute bei Ihnen denn gar nicht gesiebt?«
    »Nicht genug«, erwiderte ich. »Wie hat sie reagiert, als Sie sie damit konfrontierten?«
    »Verrückt. Sie sah mich nur mit ihren großen blauen Augen an, die Unschuld vom Lande, als verstände sie gar nicht, wovon ich sprach, und fing dann mit ihren ›Ähs‹ und ›Ohs‹ an, als ob sie mich therapieren wollte. Als

Weitere Kostenlose Bücher