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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Patientinnen zu schicken - nicht so viele, Gott sei Dank. Es war nur eine kleine Praxis.«
    »Befand sich ihre Praxis im zweiten Stock? Bei Dr. Kruse?«
    »Genau. Nur, er war nie da, sie war ganz allein. Sie hat mich einmal mit hinaufgenommen - ein winziger Warteraum und das Behandlungszimmer. Sie war Kruses psychologische Assistentin oder so etwas, hatte eine Lizenz.«
    »Ein Assistentenzertifikat.«
    »Was auch immer. Alles war koscher.«
    Psychologische Assistentin. Eine Übergangsposition, geschaffen, damit frisch gebackene Doktoren unter Aufsicht eines zugelassenen Psychologen Praxiserfahrungen sammeln konnten. Sharon hatte ihren Doktortitel vor sechs Jahren erworben und hätte längst eine richtige Zulassung beantragen können. Ich fragte mich, warum sie es nicht getan hatte.
    Was hatte sie in den sechs Jahren getrieben?
    »Kruse hatte ihr diese tolle Empfehlung geschrieben«, fuhr die Frau fort. »Er war ein Fakultätsmitglied, also dachte ich, seine Empfehlung zählte etwas. Ich dachte wirklich, die Sache würde gut laufen. Ich war außer mir, als es schiefging.«
    »Haben Sie ihren Lebenslauf noch?«
    »Nein.«
    »Erinnern Sie sich noch an irgendetwas darin?«
    »Genau an das, was ich Ihnen erzählt habe. Wieso?«
    »Ich versuche, ihr Leben zurückzuverfolgen. Wie hat sie Sie reingelegt?«
    Sie warf mir einen abschätzigen Blick zu. »Sie meinen, das wissen Sie noch nicht?«
    »Ich würde auf sexuelles Fehlverhalten tippen - dass sie mit ihren Patienten geschlafen hat. Aber Ihre meisten Patienten sind Frauen. War sie lesbisch?«
    Sie lachte. »Lesbisch? Ja, ich kann mir vorstellen, wie Sie auf so etwas kommen. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, was sie war. Ich bin in Chicago aufgewachsen - nichts in dieser Stadt überrascht mich mehr. Aber nein, sie hat nicht mit Frauen geschlafen - jedenfalls nicht, so weit ich weiß. Wir reden von Männern. Ehemännern von Patientinnen. Oder Freunden. Männer gehen nicht in eine Therapie, ohne dass man sie dazu zwingt. Die Frauen müssen alles für sie arrangieren - die Überweisung besorgen, den Termin vereinbaren. Meine Patientinnen baten mich darum, sie zu überweisen, und ich schickte ein halbes Dutzend zu Sharon. Sie dankte mir dafür, indem sie mit ihnen ins Bett ging.«
    »Wie haben Sie es herausgekriegt?«
    Sie machte ein angewidertes Gesicht. »Ich ging die Buchführung durch, sah mir meine faulen Kunden an, die Leute, die einfach nicht bezahlen wollten, und stellte fest, dass die meisten Frauen, deren Ehemänner oder Freunde ich zu ihr geschickt hatte, nicht gezahlt hatten oder nicht mehr zur Behandlung erschienen waren. Das stach mir so in die Augen, weil es bei allen anderen Patienten viel besser aussah, sie hatten fast alle sofort bezahlt und hielten auch die Termine ein.
    Ich fing an herumzutelefonieren, um festzustellen, was passiert war. Die meisten Frauen wollten mich nicht sprechen, manche hängten sogar auf. Aber zwei von ihnen haben geredet. Die erste gab mir mächtig Saures. Anscheinend hatte ihr Mann Sharon ein paarmal zur Behandlung aufgesucht - irgendwas mit Arbeitsstress. Sie hatte ihm beigebracht, wie man sich entspannt, und das war’s. Ein paar Wochen darauf rief sie ihn an und bot ihm eine Weiterbehandlung an. Kostenlos. Als er zu ihr in die Praxis kam, versuchte sie ihn zu verführen. So mit allem Drum und Dran - sie zog sich aus, stellen Sie sich das vor, mitten im Behandlungszimmer. Er ließ sie stehen, fuhr nach Haus und erzählte es seiner Frau. Sie war fuchsteufelswild, schrie mich an, ich sollte mich schämen, mich mit so einem gemeinen, verkommenen Weibsbild zusammenzutun. Die zweite war schlimmer. Sie hat nur geheult und geschluchzt.«
    Sie rieb sich die Schläfen, nahm eine Aspirintablette aus der Handtasche und schluckte sie zusammen mit einem Schluck Tee hinunter.
    »Unglaublich, nicht wahr? Kostenlose Weiterbehandlung. Ich warte immer noch auf den Tritt in den Magen: Gerichtsverhandlung. Ich habe deshalb nächtelang wach gelegen.«
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Nicht so leid wie mir. Jetzt kommen Sie und sagen, Rasmussen ist durchgedreht. Großartig.«
    »Er war einer von diesen Männern?«
    »O ja, ein richtiger Prinz. Seine Freundin war’s, die geheult und geschluchzt hat. Eine meiner zufällig hereingeschneiten Patientinnen, nicht besonders intelligent, undefinierbare psychosomatische Beschwerden - sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Ich lernte sie ein bisschen besser kennen, und dann erzählte sie mir von ihm -

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