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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ich es heraushatte, sagte sie ›Sorry‹ und ging weg. Keine Erklärung, gar nichts. Am nächsten Tag sah ich sie Kartons aus der Praxis tragen.«
    »Als ihr Berater war Kruse gesetzlich für sie verantwortlich. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Ich habe es versucht. Muss ihn wohl zwanzig Mal angerufen haben. Ich habe ihm sogar eine Nachricht unter der Tür durchgeschoben. Er hat niemals darauf reagiert. Ich bekam eine ganz schöne Wut, dachte daran, eine Beschwerde einzureichen. Schließlich meinte ich dann aber: weg mit Schaden, habe es einfach sein lassen.«
    »Sein Name steht noch immer auf der Tafel«, bemerkte ich. »Praktiziert er hier?«
    »Wie schon gesagt: Ich habe ihn nie gesehen. Und als ich ihn suchte und mit dem Hausmeister sprach, sagte der, er hätte ihn auch noch nie gesehen. Ich wette zehn zu eins, dass Kruse die Praxis für sie eingerichtet hat. Sie hat ihn wahrscheinlich auch gevögelt.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Weil Vögeln das Einzige war, was sie konnte. Wahrscheinlich hat sie sich ihren Doktor auch ervögelt.«
    Ich dachte darüber nach, verlor mich in meinen Gedanken.
    »Sie werden nicht weiter versuchen, die Patienten zu benachrichtigen, oder?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich, und mein Entschluss fiel in diesem Augenblick. »Was Sie mir erzählt haben, zeigt das Ganze in einem anderen Licht. Aber wir sollten etwas im Fall Rasmussen tun. Der Mann ist eine Zeitbombe.«
    »Soll er sich ruhig in die Luft sprengen - weg mit Schaden.«
    »Und wenn er jemand anderem etwas antut?«
    »Wie könnten Sie das verhindern?«
    Ich wusste darauf keine Antwort. »Hören Sie mal zu«, sagte sie. »Ich möchte mich ganz klar ausdrücken. Ich will nichts mehr damit zu tun haben - keinen Ärger mehr. Haben Sie mich verstanden?«
    »Vollkommen.«
    »Ich hoffe, dass das Ihr Ernst ist. Wenn Sie irgendetwas von dem, was ich gesagt habe, dazu benutzen, mich mit ihr in Verbindung zu bringen, werde ich abstreiten, dass ich es gesagt habe. Die Unterlagen über alle Patienten, die bei ihr waren, sind vernichtet. Wenn Sie meinen Namen erwähnen, werde ich Sie wegen Bruch der Schweigepflicht anzeigen.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte ich. »Sie haben sich klar ausgedrückt.«
    »Das hoffe ich sehr.« Sie riss mir die Rechnung aus der Hand und stand auf. »Ich zahle meine Rechnungen selbst, danke.«

11
    Kostenlose Weiterbehandlung. Das erinnerte mich an etwas, was ich mit Mühe vergessen hatte.
    Als ich nach Haus fuhr, fragte ich mich, wie viele Männer Sharon wohl belästigt hatte und wann das alles begonnen haben mochte. Es war mir nun unmöglich, an einen Mann in ihrem Leben zu denken, ohne eine fleischliche Verbindung anzunehmen.
    Trapp. Der Casanova. D.J. Rasmussen. Alles ihre Opfer? Ich fragte mich besonders Rasmussens wegen. Als sie starb - hatte er da noch Beziehungen zu ihr gehabt? Das könnte erklären, warum der Verlust ihn so hart getroffen hatte. Dass er sinnlos betrunken zu ihrem Haus gepilgert war.
    Um dort einen anderen Pilger - mich - zu treffen.
    Wie kann so jemand eigentlich Therapeutin werden?Werden die Leute bei Ihnen denn gar nicht gesiebt?
    Ich hatte Sharon aus meinem Leben hinausgesiebt, hatte es lange damit begründet, dass ich mir selbst eingeredet hatte, ich wäre eben jung und unerfahren gewesen und zu naiv, als dass ich’s besser hätte wissen können. Und doch war ich vor drei Tagen bei ihrem Anblick stark erregt gewesen und gierig darauf, sie wieder zu sehen. Bereit, wieder … was anzufangen?
    Dass ich nicht zu der Verabredung gegangen war, war ein schwacher Trost. Was wäre gewesen, wenn sie mich angerufen und mir mit so einem bestimmten Ton in der Stimme gesagt hätte, was für ein wundervoller Typ ich sei? Wäre ich dann fähig gewesen, dem Gefühl zu widerstehen, dass ich gebraucht wurde? Hätte ich die Gelegenheit verschmähen können, mir von ihrem »Problem« erzählen zu lassen und es vielleicht sogar zu lösen?
    Ich wusste darauf ehrlich keine Antwort. Was eine Menge über meine Urteilskraft aussagte. Und meine geistige Gesundheit.
    Ich verfiel in die für das Ego katastrophalen Selbstzweifel, die ich in der Analyse während meiner Ausbildung zum Therapeuten bewältigt zu haben glaubte: Was gab mir das Recht, anderer Leute Leben zu formen, wenn ich nicht mal mein eigenes in Ordnung zu bringen vermochte? Was machte mich zu einer Autorität für anderer Leute Kinder, wenn ich selbst nie ein eigenes aufgezogen hatte?
    Dr. Fachidiot. Wen zum Teufel versuchte ich an

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