Sharpes Festung
diejenigen, die direkt vor dem 74. waren, und der Wechsel in der Geräuschkulisse ließ Sharpe in die Rauchwolke spähen, die nur eine Viertelmeile entfernt über dem Hügelkamm hing. Weiterer Rauch hüllte das 74. ein, doch er stammte von den britischen Geschützen. Der Rauch des Feindes lichtete sich, wurde vom leichten Wind nordwärts getragen, aber es war nicht zu erkennen, weshalb die Geschütze in der Mitte der Marathen-Linie das Feuer eingestellt hatten. Vielleicht war den Scheißern die Munition ausgegangen. Wunschdenken, dachte Sharpe. Oder vielleicht laden sie mit Kartätschen auf, um die nahenden Rotröcke willkommen zu heißen.
Gott, er musste dringend pinkeln. Er hielt an, klemmte den Säbel unter einen Arm und knöpfte die Hose auf. Bei seiner Fummelei sprang ein Knopf ab. Er fluchte, bückte sich, um ihn aufzuheben, und dann leerte er seine Blase auf den trockenen Boden. In diesem Moment zog Urquhart sein Pferd herum und trieb es zu ihm. »Muss das jetzt sein, Mister Sharpe?«, fragte er gereizt.
Jawohl, Sir, die Blase war voll, sonst platze ich, Sir, und Sie sollen mit Ihren scharfen Augen verdammt sein, Sir, dachte Sharpe.
»Tut mir leid, Sir«, sagte Sharpe stattdessen. Anständige Offiziere pissten also vielleicht nicht? Er spürte, dass die Kompanie über ihn lachte, und rannte los, um sie einzuholen, wobei er an den Hosenknöpfen fummelte. Immer noch war nichts von den Geschützen in der Marathen-Linie zu hören. Warum nicht?
In diesem Moment feuerte eine Kanone auf einer der Flanken des Feindes schräg über das Feld, und die Kugel streifte durch die sechste Kompanie, riss einen Mann in der ersten Reihe von den Füßen und verwundete einen Mann hinter ihm an den Knien. Ein anderer Soldat begann zu humpeln, weil sein Bein von einem Knochensplitter seines Nachbarn aufgerissen worden war. Corporal McCallum, dessen Aufgabe es war, die Reihen zu schließen, zog einen Mann in die Lücke, während ein Dudelsackspieler herbeirannte, um den Verwundeten zu verbinden. Die Verwundeten wurden dort, wo sie gefallen waren, liegen gelassen, bis sie nach der Schlacht – sofern sie noch lebten – zu den Chirurgen getragen wurden. Und wenn sie deren Messer und Sägen überlebten, würden sie heimtransportiert werden, für nichts mehr tauglich, nur eine Last für die Gemeinde. Oder vielleicht hatten die Schotten keine Gemeinden. Sharpe war sich nicht sicher, aber er wusste genau, dass die Scheißer Armenhäuser hatten. Jeder hatte Armenhäuser und Armenfriedhöfe. Besser hier in der schwarzen Erde des feindlichen Indien begraben zu sein, als zu der Mildtätigkeit eines Armenhauses verdammt zu sein.
Dann sah er, warum die Geschütze in der Mitte der Marathen-Linie das Feuer eingestellt hatten. Die Lücken zwischen den Kanonen waren plötzlich mit Männern gefüllt, die vorwärts rannten, Männern mit Turbanen und langen Gewändern. Sie strömten zwischen die Lücken und schlossen sich unter langen grünen Bannern an silbernen Stangen zusammen. Araber, dachte Sharpe. Er hatte einige bei Ahmadnagar gesehen, doch die meisten davon waren tot gewesen. Er erinnerte sich an Sevajee, den Marathen, der an der Seite von Colonel McCandless gekämpft hatte, der die arabischen Söldner als die besten Soldaten der feindlichen Truppen bezeichnet hatte.
Jetzt kam eine Horde der Wüstenkrieger direkt auf das 74. und dessen Nachbarn mit den Kilts zu.
Die Araber kamen in lockerer Formation. Ihre Waffen mit verziertem Schaft glänzten im Sonnenschein, während gekrümmte Säbel in Scheiden an ihren Hüften steckten. Sie kamen fast munter, als hätten sie völliges Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Wie viele waren es? Sharpe schätzte sie auf mindestens tausend Mann. Ihre Offiziere saßen auf Pferden. Sie rückten nicht in Reih und Glied an, sondern in einer Masse, und einige, die Tapfersten, rannten voran, als seien sie begierig darauf, mit dem Töten anzufangen. Die große Masse in den Gewändern stieß einen schrillen Kriegsschrei aus, während in ihrer Mitte Trommler auf riesige Instrumente schlugen, dass es über das Schlachtfeld dröhnte. Sharpe beobachtete, wie die nächsten britischen Geschütze mit Kartätschen geladen wurden. Die grünen Banner wurden über den Köpfen der Krieger geschwenkt. Etwas war auf die Banner geschrieben, doch es war keine Schrift, die Sharpe kannte.
»Vierundsiebzigstes!«, brüllte Swinton. »Halt!«
Das 78. hatte ebenfalls gehalten. Die beiden Hochland-Bataillone stellten sich der vollen
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