Sharpes Feuerprobe
geradeaus, Jungs!«, rief Ensign Fitzgerald. Der irische Fähnrich war der jüngste Offizier in der Kompanie, doch er hatte das Selbstvertrauen eines viel älteren Mannes. »Wir haben etwas Schießen zu erledigen.«
Sharpe schob sich in seine Reihe zurück. Er überprüfte, dass der Feuerstein richtig in der Muskete saß. Als er aufblickte, sah er, dass die Masse des Feindes nur noch etwa hundert Schritte entfernt war. Sie schrien rhythmisch und verstummten gelegentlich zwischen einem Trommelwirbel, doch das lauteste Geräusch war das Stampfen ihrer Schritte auf der trockenen Erde.
Sharpe versuchte die Zahl der vorderen Reihe der Kolonne zu zählen, doch er geriet schnell durcheinander, als feindliche Offiziere durch die Kolonne hin und her wuselten. Es mussten Tausende von Tigersoldaten sein, die alle marschierten, um wie ein großer Schmiedehammer in die zwei Reihen starke Linie der Rotröcke zu schlagen.
»Als wollten sie durch uns hindurchmarschieren«, sagte ein Mann nervös.
»Wartet, Jungs, wartet!«, sagte Sergeant Green.
Der Feind füllte jetzt die Landschaft voraus. Er kam in einer Kolonne aus sechzig Reihen von fünfzig Männern, dreitausend insgesamt, und sie wirkten auf Sharpe wie zehnmal so viel.
Keiner von den Männern Tippus feuerte beim Vorrücken. Bei den feindlichen Musketen waren die Bajonette aufgepflanzt, und die Offiziere hielten ihre stark gekrümmten Säbel nach vorne gerichtet. Immer näher kamen sie, und die feindliche Formation schien für Sharpe, der die Kolonne von links der Linie beobachtete, sodass er ihre Flanke sehen konnte, unaufhaltsam zu sein wie ein schwer beladener Farmwagen, der langsam und unerbittlich auf einen schwachen Zaun zurollte.
Er konnte jetzt die Gesichter der Feinde sehen. Sie waren dunkelhäutig mit schwarzen Schnurrbärten und sonderbar weißen Zähnen. Die Tigermänner waren nahe, so nahe, und ihre Sprechchöre begannen sich in individuelle Kriegsschreie aufzulösen. Sharpe dachte: Jeden Augenblick fällt die Kolonne in Laufschritt und greift mit gesenkten Bajonetten an.
»Dreiunddreißigstes!«, ertönte Colonel Wellesleys Stimme scharf unterhalb der Regimentsfahnen. »Bereit machen!«
Sharpe schob seinen rechten Fuß hinter seinen linken, sodass sich sein Körper halb nach rechts drehte, hob seine Muskete senkrecht in Augenhöhe und spannte den Hahn. Das Klicken war irgendwie beruhigend.
Der heranmarschierende Feind hatte den Eindruck, als hätte sich die gesamte britische Linie halb gedreht, und die plötzliche Bewegung der Männer, die so stumm gewartet hatten, hemmte für einen Moment ihren Eifer.
Oberhalb der Tigersoldaten von Maisur, unter einer Gruppe Fahnen auf dem Höhenrücken, wo die Geschütze abgefeuert wurden, beobachtete eine Reitergruppe die Kolonne.
Ist Tippu persönlich dort?, fragte sich Sharpe. Und träumt Tippu, dass er eines Tages dreieinhalbtausend britische und indische Soldaten besiegt und sie in seine Hauptstadt Seringapatam in Gefangenschaft führt?
Die Hurraschreie der Angreifer erfüllten jetzt die Luft, doch immer noch war Colonel Wellesleys Stimme über dem Lärm zu hören. »Legt an!«
Siebenhundert Musketen wurden an siebenhundert Schultern gehoben und auf die Spitze der Kolonne gerichtet, bereit, siebenhundert Unzen Blei auf die führenden Reihen der schnell marschierenden, selbstsicheren Masse zu feuern, die geradenwegs auf die britischen Fahnen zustrebte, bei denen Colonel Wellesley wartete.
Die Tigermänner beeilten sich jetzt, und ihre vordere Reihe brach auseinander, als sie zu rennen begann. Der Wagen war kurz davor, den Zaun zu durchbrechen.
Arthur Wellesley hatte sechs Jahre lang auf diesen Moment gewartet. Er war neunundzwanzig Jahre alt und hatte schon befürchtet, dass er nie eine Schlacht sehen würde, doch jetzt endlich würde er feststellen, ob er und sein Regiment kämpfen konnten, und so holte er tief Luft, um den Befehl zu schreien, mit dem die Schlacht beginnen würde.
Colonel Jean Gudin seufzte und fächerte sich Luft ins Gesicht, zum tausendsten Mal in der letzten Stunde, um die Fliegen zu verscheuchen. Er mochte Indien, doch er hasste Fliegen, was es ihm schwer machte, Indien zu mögen, doch alles in allem, trotz der Fliegen, mochte er Indien sehr. Er liebte es nicht so sehr wie seine heimatliche Provence, doch wo auf der Erde war es schöner als in der Provence?
»Hoheit?«, erlaubte er sich zu fragen und wartete, während sein Dolmetscher sich bemühte, die Aufmerksamkeit Tippus zu
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