Sharpes Feuerprobe
Bywaters die Hand hob und den nächsten Peitschenhieb verhinderte.
Sharpe hob den Kopf und öffnete die Augen, doch er sah alles verschwommen. Der Schmerz raubte ihm fast die Besinnung, er wimmerte, und sein Gesicht sank wieder hinab. Ein Speichelfaden fiel langsam aus seinem Mund hinab in den Staub.
Colonel Arthur Wellesley war zum Dreibein geritten. Für einen Moment schauten Major Shee, seine Ordonnanzen und der Adjutant den Colonel fast schuldbewusst an, als seien sie bei einem verbotenen Freizeitvergnügen erwischt worden. Keiner sagte ein Wort, als der Colonel sein Pferd näher zu dem Gefangenen trieb.
Wellesley blickte mürrisch hinab und schob dann seine Reitgerte unter Sharpes Kinn, um seinen Kopf anzuheben. Der Colonel erschrak vom hasserfüllten Ausdruck in den Augen des Gefangenen. Er zog die Gerte zurück, dann wischte er die Spitze an seiner Satteldecke ab, um den Speichel zu entfernen.
»Der Gefangene ist sofort abzuschneiden, Major Shee«, sagte der Colonel eisig.
»Jawohl, Sir.« Shee war nervös und fragte sich, ob er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. »Sofort, Sir«, fügte er hinzu, obwohl er noch keine Befehle gegeben hatte.
»Ich mag es nicht, eine wohlverdiente Bestrafung aufzuhalten«, sagte Wellesley laut genug, damit alle Offiziere in der Nähe ihn hörten, »aber Private Sharpe ist zu General Harris’ Zelt zu bringen, sobald er sich erholt hat.«
»General Harris, Sir?«, fragte Major Shee erstaunt.
General Lord Harris war der Kommandeur dieses Feldzugs gegen Tippu. Und welches Interesse konnte der befehlshabende General an einem halb ausgepeitschten Private haben?
»Jawohl, Sir, natürlich, Sir«, fügte Shee hastig hinzu, als er bemerkte, dass seine Frage Wellesley langweilte. »Sofort, Sir.«
»Dann tun Sie endlich was!«, fuhr Wellesley ihn an.
Der Colonel war ein schlanker junger Mann mit schmalem Gesicht, hart blickenden Augen und spitzer Nase. Viele ältere Männer ärgerten sich darüber, dass der neunundzwanzigjährige Wellesley bereits ein Colonel war, doch er kam aus einer wohlhabenden Familie mit Adelstitel, und sein älterer Bruder, der Earl of Mornington, war Generalgouverneur der East India Company in Indien, und so war es kaum überraschend, dass der junge Arthur Wellesley so schnell so hoch aufgestiegen war.
Jedermann wusste, dass man sich mit viel Geld und guten Beziehungen Beförderungen kaufen konnte und deshalb der Sprung die Karriereleiter hinauf fast zwangsläufig war, doch selbst die nicht so glücklichen Männer, die sich über Wellesleys Privilegien ärgerten, mussten zugeben, dass der junge Colonel eine natürliche und kalte Autorität und – wie einige dachten – sogar ein Talent fürs Soldatentum hatte. Er war zweifellos pflichtbewusst in seinem erwählten Beruf, wenn das ein Zeichen für Talent war.
Wellesley trieb sein Pferd ein Stück näher und schaute zu, wie Sharpe von den Fesseln befreit wurde.
»Private Sharpe?« Es klang verächtlich, als ob er sich beschmutzte, weil er Sharpe überhaupt ansprach.
Sharpe sah auf, blinzelte und stieß einen gutturalen Laut aus. Bywaters rannte zu ihm und nahm ihm den Knebel aus dem Mund. Es kostete ihn einige Mühe, denn Sharpe hatte die Zähne tief in das Leder gegraben.
»Guter Junge«, sagte Bywaters leise, »guter Junge. Sie haben nicht geschrien. Ich bin stolz auf Sie, Junge.«
Schließlich hatte der Sergeant Major es geschafft, den Knebel frei zubekommen, und Sharpe versuchte auszuspucken.
»Private Sharpe?«, wiederholte Wellesleys verächtliche Stimme.
Sharpe zwang sich, den Kopf zu heben. »Sir?« Das Wort war nur ein kaum verständliches Krächzen. »Sir«, versuchte er es von Neuem, und diesmal klang es wie ein Aufstöhnen.
In Wellesleys Gesicht zuckte es angewidert. »Sie werden zu General Harris’ Zelt gebracht. Haben Sie mich verstanden, Sharpe?«
Sharpe blinzelte zu Wellesley auf. In seinem Kopf schien sich alles zu drehen, und der Schmerz in seinem Körper wetteiferte mit dem Unglauben über das Gehörte und mit dem Zorn gegen die Armee.
»Haben Sie den Colonel gehört, Junge?«, fragte Bywaters.
»Jawohl, Sir.« Nur mit Mühe schaffte es Sharpe, Colonel Wellesley zu antworten.
Wellesley wandte sich an Micklewhite. »Verbinden Sie ihn, Mister Micklewhite. Tragen Sie eine Salbe auf seinem Rücken auf, was immer Sie für das Beste halten. Ich will ihn in der nächsten Stunde compos mentis haben. Haben Sie mich verstanden?«
»Binnen einer Stunde!«, stieß der
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