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Sharpes Feuerprobe

Titel: Sharpes Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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kämpfen. Er brauchte sie, um den rot berockten Feind vor den Mauern von Seringapatam niederzumachen. Denn hier, in der Hauptstadt der Insel, erwartete Tippu die Briten und ihre Verbündeten aus Haidarabad zu besiegen. Hier, vor seinen Geschützen mit den Tiger-Mündungen, würden die Rotröcke geschlagen werden wie Reis mit dem Dreschflegel.
    Er hoffte, sie konnten in den Schlachthof gelockt werden, den er auf den westlichen Bastionen vorbereitete, doch selbst wenn sie nicht auf den Köder hereinfielen und über die südlichen und östlichen Wälle kamen, war er trotzdem für sie bereit. Er hatte Tausende von Kanonen, Raketen und kampfbereite Männer. Er würde die Armee der Ungläubigen massakrieren und die Armee aus Haidarabad vernichten, und dann würde er den Nizam von Haidarabad jagen, ebenfalls ein Moslem, und ihn zu einem langsamen und verdienten Tod foltern lassen, den er von seinem überdachten goldenen Thron aus beobachten würde.
    Er ging an dem Thron vorbei und starrte seinen Lieblingstiger an. Dies war ein lebensgroßes Modell, geschaffen von einem französischen Kunsthandwerker, das eine Bestie zeigte, die über die geschnitzte Nachbildung eines britischen Rotrocks kroch. An der Flanke des Tigers befand sich ein Griff, und wenn er gedreht wurde, schlug die Pranke des Tigers in das Gesicht des Rotrocks, und Schilfrohre im Körper des Tigers lösten einen knurrenden Klang und Mitleid erregende Geräusche aus, die an die Schreie eines sterbenden Mannes erinnerten. Eine Klappe in der Flanke des Tigers öffnete sich und gab den Blick auf eine Tastatur frei, auf der eine Orgel, verborgen im Bauch des Tigers, gespielt werden konnte.
    Der Sultan spielte nur selten auf dem Instrument. Er bevorzugte es, die Blasebälge zu betätigen, die den Tiger knurren und das Opfer aufschreien ließen. Er drehte den Hebel jetzt und erfreute sich an den klagenden Lauten des sterbenden Mannes. In ein paar Tagen, dachte er, werde ich den Himmel mit den echten Schreien der sterbenden Rotröcke erfreuen.
    Tippu ließ die Tigerorgel verstummen.
    »Ich habe den Verdacht, dass der Mann ein Spion ist«, sagte er unvermittelt.
    »Dann lassen Sie ihn töten«, sagte Appah Rao.
    »Ein gescheiterter Spion«, sagte Tippu. Er blickte zu Gudin. »Sie sagen, er ist ein Schotte?«
    »In der Tat, Hoheit.«
    »Also kein Engländer?«
    »Nein, Hoheit.«
    Tippu zuckte bei der Unterscheidung mit den Schultern. »Woher auch immer er stammt, er ist ein alter Mann, aber ist das ein Grund, ihm Gnade zu gewähren?«
    Die Frage war an Colonel Gudin gerichtet, der sich versteifte, als sie ihm übersetzt wurde. »Er wurde in Uniform gefangen genommen, Hoheit, und so verdient er nicht den Tod.« Gudin hätte gern hinzugefügt, dass es unzivilisiert gewesen wäre, auch nur zu erwägen, solch einen Gefangenen zu töten, doch er wusste, dass Tippu es hasste, kritisiert zu werden, und so verkniff er sich das.
    »Er ist hier, nicht wahr?«, sagte Tippu. »Verdient er damit nicht den Tod? Dies ist nicht sein Land, dies ist nicht sein Volk, und das Brot und Wasser, das er zu sich nimmt, gehört ihm nicht.«
    »Wenn Sie ihn töten lassen, Hoheit«, warnte Gudin, »werden die Briten bei niemandem Gnade zeigen, den sie gefangen nehmen.«
    »Ich bin voller Gnade«, sagte Tippu, und das stimmte im Wesentlichen. Es gab eine Zeit, erbarmungslos zu sein, und eine Zeit, Erbarmen zu zeigen, und vielleicht war dieser Schotte eine nützliche Schachfigur, wenn es darum ging, eine Geisel zu haben. Außerdem hatte der Traum in der vergangenen Nacht dem Sultan Gutes versprochen, und die Vorahnungen an diesem Morgen waren gleichermaßen hoffnungsvoll gewesen, und so konnte er sich heute erlauben, Gnade zu zeigen.
    »Steckt ihn jetzt in die Zelle«, sagte Tippu.
    Irgendwo im Palast schlug eine französische Uhr die Stunde und erinnerte Tippu daran, dass es die Zeit für seine Gebete war. Er entließ sein Gefolge und ging in die schlichte Kammer mit Blickrichtung gen Mekka, wo er seine täglichen Gebete verrichtete.
    Draußen, um ihr Opfer betrogen, zogen sich die Tiger in die Schatten des Hofes zurück. Eine der Bestien gähnte, eine andere schlief. Es würden andere Tage kommen und andere Menschen zu fressen sein. Dafür lebten die Tiger, für die Tage, an denen ihr Herr nicht gnädig war.
    Im inneren Palast, mit dem Rücken zum überdachten Thron aus Gold, drehte Colonel Jean Gudin am Griff des Tigers. Der Tiger knurrte, die Pranken schlugen auf das hölzerne, blutig bemalte

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