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Sharpes Feuerprobe

Titel: Sharpes Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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vergitterte Fenster herein, und Mary konnte die Blutflecken sehen, die sich durch Sharpes Verbände und auf seinem Hemd ausbreiteten.
    »Haben sie uns vergessen?«, fragte Sharpe.
    »Nein«, sagte Mary. »Sie haben uns etwas Wasser gebracht, während du geschlafen hast. Hier.« Sie hob den Krug und reichte ihn ihm. »Und sie haben uns einen Eimer gegeben.« Sie wies durch die halb dunkele Kammer. »Falls wir ...« Sie sprach nicht weiter.
    »Ich kann riechen, wofür der Eimer gedacht ist«, sagte Sharpe. Er nahm den Krug und trank.
    Lawford war zusammengesunken an der fernen Wand, und ein kleines Buch lag aufgeschlagen neben dem schlafenden Lieutenant.
    Sharpe schnitt eine Grimasse. »Ich bin froh, dass die Scheißkerle etwas Nützliches gebracht haben«, sagte er zu Mary.
    »Meinst du das?«, sagte Lawford und wies auf das Buch. Er hatte überhaupt nicht geschlafen.
    Sharpe hatte seine Worte spöttisch gemeint und konnte sie jetzt nicht zurücknehmen.
    »Was ist es?«, fragte er stattdessen.
    »Eine Bibel.«
    »Verdammte Scheiße«, sagte Sharpe.
    »Hast du was dagegen?«, fragte Lawford eisig.
    »Ich habe die Nase voll von dem guten Buch, seit ich im Waisenhaus war«, sagte Sharpe. »Wenn sie nicht daraus lasen, dann schlugen sie uns damit auf den Kopf, und es war kein kleines Buch wie das da, sondern ein verdammt großes, schweres Ding. Mit dieser Bibel hätte man einen Ochsen betäuben können.«
    »Hat man dich gelehrt, darin zu lesen?«, fragte Lawford.
    »Man hielt uns nicht für gut genug, um zu lesen. Gut genug, um Prügel zu bekommen, aber nicht, um zu lesen. Nein, sie lasen uns nur zum Frühstück daraus vor. Es war jeden Morgen das Gleiche: kalter Haferbrei, ein bisschen Wasser und die Ohren voller Abraham und Isaak.«
    »Du kannst nicht lesen?«, fragte Lawford ungläubig.
    »Natürlich kann ich nicht lesen!« Sharpe lachte verächtlich. »Was, verdammt noch mal, nützt das schon?«
    »Sei kein Narr, Dick«, sagte Lawford geduldig. »Nur ein Dummkopf ist stolz darauf, so zu tun, als ob eine Fähigkeit, die man nicht besitzt, wertlos ist.« Sekundenlang war Lawford versucht, eine Lobeshymne über das Lesen zu halten – wie es eine neue Welt für Sharpe eröffnen würde, eine Welt von Drama und Geschichte und Information und Poesie und grenzenloser Weisheit, doch dann hielt er es für besser, darauf zu verzichten. »Du willst doch deine Sergeant-Streifen, nicht wahr?«, fragte er stattdessen.
    »Man braucht nicht lesen zu können, um Sergeant zu sein«, sagte Sharpe stur.
    »Nein, aber es hilft, und du wärst ein besserer Sergeant, wenn du lesen kannst. Anderenfalls wird dir der Kompanieschreiber erzählen, was in den Berichten und den Listen und im Strafbuch steht, und der Zahlmeister wird dich nach Strich und Faden betrügen. Aber wenn du lesen kannst, wirst du wissen, wenn man dich anlügt.«
    Es folgte langes Schweigen. Irgendwo im Palast hallten die Schritte eines Postens vom Steinboden wider, und dann ertönte ein Geräusch, bei dem Lawford fast vor Heimweh geheult hätte. Eine Uhr schlug die Stunde. Zwölf Uhr. Mitternacht.
    »Ist es schwer?«, fragte Sharpe schließlich.
    »Das Lesen zu lernen?«, fragte Lawford. »Eigentlich nicht.«
    »Dann solltet ihr, du und Mary, es mir beibringen, Bill, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Lawford. »Ja, das sollten wir.«
 
    Am Morgen wurden sie aus dem Wachraum gebracht. Vier tigergestreifte Soldaten holten sie und brachten sie durch den Arkadengang, durch einen schmalen Flur, der neben den Küchen zu verlaufen schien, und danach durch ein Gewirr von Ställen und Lagerräumen, das zu einem Doppeltor führte, das sich in einen großen Hof öffnete, wo der grelle Sonnenschein sie blinzeln ließ.
    Dann gewöhnten sich Sharpes Augen an das helle Licht, und er sah, wer auf dem Hof auf sie wartete. Er fluchte.
    Es waren sechs Tiger, alle riesige Bestien, mit gelben Augen und gebleckten Zähnen. Die Raubkatzen starrten die drei Neuankömmlinge an, dann erhob sich einer der Tiger, streckte sich, schüttelte sich und schlich langsam auf sie zu.
    »Mein Gott«, entfuhr es Sharpe. Genau in diesem Augenblick setzte der Tiger zum Sprung an, doch die Kette spannte sich, und er fiel auf den staubigen Boden zurück. Betrogen um seine Mahlzeit, knurrte er und kehrte in die Schatten zurück. Eine der anderen Bestien kratzte ihr Fell, ein anderer Tiger gähnte.
    »Seht euch an, wie groß die Bastarde sind!«, sagte Sharpe.
    »Einfach große Pussykatzen«, meinte Lawford mit einer

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