Sharpes Feuerprobe
rissen.
Die Familien der Soldaten lebten in ihrem Lager, und die Frauen und Kinder strömten in Scharen herbei, als die beiden fremden Weißen vorübergingen. Sie nahmen an, das Sharpe und Lawford Gefangene waren, und einige verspotteten sie, und andere lachten, wenn Sharpe vor Schmerzen wankte und stolperte.
»Geh weiter, Sharpe«, sagte Lawford aufmunternd.
»Nenn mich Dick, um Himmels willen«, fuhr Sharpe ihn an.
»Geh weiter, Dick«, sagte Lawford, ärgerlich, weil er von einem Private getadelt worden war.
»Es ist nicht mehr weit«, flüsterte Mary. Sie stützte Sharpe beim Gehen, doch manchmal, wenn die Spott-und Schmährufe zu lautstark wurden, klammerte sie sich wie Halt suchend an ihn.
Voraus erhoben sich die Stadtmauern, und Lawford fragte sich, wie jemand hoffen konnte, solche massiven Barrieren zu durchbrechen. Die hohen Festungswälle waren weiß getüncht, sodass sie in der Sonne zu leuchten schienen, und Lawford konnte in jeder Schießscharte Kanonenmündungen sehen.
Kavaliere, überhöht angeordnete, mit Flanken versehene Bauten, von denen man eine gute Übersicht über das Vorgelände hatte, befanden sich überall längs der Mauer, sodass noch mehr Geschütze jeden Feind, der angriff, abwehren konnten.
Über den Wällen, auf denen sich die Fahnen des Tippu im sanften, warmen Wind bewegten, ragten die beiden weißen Minarette der städtischen Moschee im Sonnenschein auf. Jenseits der Minarette konnte Lawford den Turm eines Hindu-Tempels sehen, dessen Steinschichten kunstvoll gemeißelt und üppig bemalt waren, während gleich nördlich vom Tempel die glänzend grünen Dachziegel dessen leuchteten, was der Palast des Tippu zu sein schien.
Die Stadt war viel größer und prächtiger, als Lawford erwartet hatte, und die weiß getünchten Wälle waren höher und stärker, als er je befürchtet hatte. Er hatte sich eine Mauer aus getrocknetem Schlamm vorgestellt, doch die Wälle, die er im Osten sah, bestanden aus massiven Steinblöcken, die von den Belagerungsgeschützen Stück für Stück abgetragen werden mussten, wenn jemals ein Durchbruch gelingen sollte. An Stellen, wo der Wall bei früheren Belagerungen beschädigt worden war, war das Mauerwerk durch Ziegelsteine ersetzt worden, doch nirgendwo sah er schwach aus.
Es stimmte, dass die Stadt keine Zeit gehabt hatte, um eine moderne europäische Befestigungsanlage mit außerhalb liegenden Stellungen, Bastionen und Vorschanzen anzulegen, doch auch so sah alles beängstigend stark aus. Ameisenartige Horden von Arbeitern, einige davon in der Hitze nackt, trugen Körbe mit tiefroter Erde auf ihren Rücken und schichteten sie auf, um das Glacis vor den weiß getünchten Wällen zu erhöhen. Die wachsende Erdaufschüttung, die von den Wällen durch einen Graben getrennt war, der mit dem Wasser des Flusses geflutet werden konnte, diente dem Abfälschen der Schüsse von den Belagerern zu den Wällen hinauf und darüber hinweg.
Lawford tröstete sich damit, dass es Lord Cornwallis vor sieben Jahren geschafft hatte, in diese gewaltige Stadt hineinzustoßen, doch die Erhöhung des Glacis demonstrierte, dass der Tippu aus dieser Niederlage gelernt hatte und General Harris es weitaus schwerer haben würde.
Die Lanzenreiter duckten sich mit ihren spitz zulaufenden Helmen, als sie durch den Tunnel des Bangalore-Tors in die Stadt ritten und so die vermeintlichen Deserteure durch ein stinkendes Gewirr überfüllter Straßen führten. Die Lanzen bahnten ihnen den Weg. Sie trieben damit Zivilisten zur Seite und zwangen Wagen und Handkarren zum hastigen Rückzug in die nächsten Gassen. Selbst die heiligen Kühe, die in der Stadt frei herumwanderten, wurden beiseite gezwungen, doch die Lanzenreiter taten es sanft, wollten nicht die Gefühle der Hindus beleidigen.
Sie passierten die Moschee und wandten sich dann in eine Straße, die von Läden gesäumt war, in deren offenen Fronten Stoffe, Seide, silberne Schmuckstücke, Gemüse, Schuhe und Häute hingen.
Lawford erhaschte einen Blick in eine Seitengasse, in der blutbesudelte Männer zwei Kamele schlachteten, und der Anblick ließ ihn würgen. Ein nacktes Kind schleuderte einen blutigen Kamelschwanz auf die beiden weißen Männer, und bald tollte eine Horde zerlumpter, johlender Kinder zwischen den Pferden der Lanzenreiter, um die Gefangenen zu verspotten und mit Tierkot zu bewerfen.
Sharpe verfluchte sie, und Lawford duckte sich einfach, und als zwei europäische Soldaten sie verjagten, rannten die Kinder
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