Sharras Exil
plötzlich ein, dass ich jetzt nicht einmal mehr eine Erklärung abzugeben brauchte.
»Kümmere du dich darum, Pflegevater«, sagte ich. »Ich muss etwas anderes erledigen.«
Etwas in meiner Stimme schreckte ihn auf. Er blickte hoch, und dann erwiderte er in merkwürdig gedämpftem Ton: »Gewiss, Lord Armida.« Dabei vollführte er etwas, das tatsächlich eine Verbeugung war. Dann ritt er fort, und mir ging auf, was an seiner Stimme anders gewesen war als früher: Er hatte zu mir gesprochen wie einst zu meinem Vater.
Linnells Augen waren immer noch rot, aber ihr Gesicht wirkte ruhig. Ich sagte: »Ich muss Callina sprechen, Schwester. Wird sie mich empfangen?«
»Üblicherweise ist sie zu dieser Zeit im Turm, Lew. Aber du könntest mitkommen und bei uns essen …«
»So lange möchte ich lieber nicht warten, Breda . Es ist sehr dringend.« Auch jetzt spürte ich das Prickeln, als beobachte Kadarin mich hinter einer Baumgruppe hervor oder aus einer dunklen, engen Gasse. »Ich werde sie im Turm aufsuchen.«
»Aber du kannst doch nicht …«, begann sie. Dann fiel ihr ein, dass ich drei Jahre in einem Turm verbracht hatte.
Ich war noch nie im Comyn-Turm gewesen, obwohl ich in jedem Sommer meines Lebens, ausgenommen die Arilinn-Jahre, in der Burg gewohnt hatte. Mit den dort Dienst tuenden Technikern hatte ich über die Relais gesprochen, doch glaube ich, dass nicht einmal sie die uralte Bewahrerin Ashara zu Gesicht bekamen. Und sicher gibt es nicht viele noch lebende Telepathen, die jemals die isolierenden Schleier durchschritten. Mein Vater hatte mir erzählt, niemand, den er kenne, wisse von einer Gelegenheit, bei der sie sich gezeigt habe. Vielleicht, dachte ich, gab es sie überhaupt nicht!
Callina mochte gewusst haben, dass ich kam. Sie empfing mich und winkte mir wortlos, die Relaiskammer zu durchqueren. Ich bemerkte ein junges Mädchen vor dem Schirm, aber ich kannte sie nicht. Dann ging es durch einen Innenraum in ein Gelass, das das alte Matrix-Laboratorium sein musste – jedenfalls hätte man es in Arilinn so genannt. Aber ich konnte mir vorstellen, dass es viel früher als das in Arilinn erbaut worden war, im Zeitalter des Chaos oder noch eher. Ich bemerkte Matrix-Monitorschirme und andere Geräte, von deren Verwendungszweck ich nicht die nebelhafteste Ahnung hatte. Und ich hatte auch gar keine Lust, darüber nachzudenken, eine Matrix welcher Ebene erforderlich war, um das eine oder andere Instrument in Betrieb zu nehmen. Ein speziell modulierter telepathischer Dämpfer erfüllte den Raum mit beruhigenden Vibrationen, die telepathische Obertöne ausfilterten, ohne normale Gedanken zu behindern. Ich bemerkte ein ungeheures schimmerndes Paneel aus geschmolzenem Glas, über dessen Funktion ich nicht einmal Vermutungen anstellen konnte. Es mochte einer der schon beinahe legendären psychokinetischen Schirme sein. Unter all diesen Dingen befanden sich die gewöhnlichen Werkzeuge, mit denen der Matrix-Mechaniker seine Kunst ausübt: Matrixkörbe, Gitter, leere Kristalle, eine Glasbläser- Pfeife, Schraubenzieher und Lötkolben, Lappen aus Isoliertuch. Callina bot mir in einer Ecke einen Sessel an.
»Ich habe dich erwartet«, sagte sie, »seit ich hörte, dass die Sharra-Matrix geraubt worden ist. Vermutlich war es Kadarin?«
»Ich habe ihn gesehen«, antwortete ich, »aber abgesehen davon hätte kein anderer sie berühren können, ohne mich zu töten. Und ich lebe noch – so ein Pech!«
»Dann bist du nach wie vor auf sie eingestimmt? Es ist eine illegale Matrix, nicht wahr?«
»Sie ist nicht auf den Schirmen in Arilinn.« Das hatten sie herausgefunden, als Marjorie starb. Aber dies war ein älterer Turm; es mochte hier eine Erinnerung an sie vorhanden sein. Callina sagte: »Wenn du mir das Muster geben kannst, werde ich versuchen, sie zu finden.« Sie führte mich an den Monitor-Schirm, auf dem Pünktchen flackerten, eins für jede auf Darkover bekannte und lizenzierte Matrix. Sie machte eine Handbewegung, die mir vertraut war. Mit einer Hand zog ich an den Schnüren des Beutels um meinen Hals und wandte den Blick ab, als der Stein mit dem darin brennenden roten Feuer in ihre Handfläche fiel … Er schwang immer noch auf der gleichen Wellenlänge wie die Sharra-Matrix; er war nutzlos für mich.
Und solange ich ihn trug, konnte jeder, der die Sharra-Matrix besaß, mich finden … und ich spürte – wenn es auch reine Einbildung gewesen sein mag –, wie Kadarin mich durch meine Matrix beobachtete
Weitere Kostenlose Bücher