Sharras Exil
brachte uns in das oberste Stockwerk, wo die Entbindungsstation lag, hoch über dem Lärm und der Hast der geräuschvollen Vergnügungswelt. Ich nannte meinen Namen und sagte, weshalb wir kamen, und irgendein Angestellter versicherte Dio, gleich werde eine Technikerin kommen und sie in ein Zimmer bringen.
Wir saßen auf stillosen, unbequemen Stühlen und warteten. Nach einer Weile betrat eine junge Frau den Raum. Sie trug die bei den Terranern übliche Kleidung des medizinischen Personals mit dem merkwürdigen Symbol der sich um einen Stab ringelnden Schlange; ich hatte gehört, dass dies ein altes religiöses Symbol sei, aber die Mediziner schienen, als ich mich erkundigte, mehr auch nicht zu wissen. Die junge Frau sprach uns an, und ich blickte hoch und rief voll Freude: »Linnell!«
Denn das Mädchen in Uniform war meine eigene Pflegeschwester. Avarra allein wusste, wie sie nach Vainwal und in diese merkwürdige Uniform geraten war, aber ich eilte zu ihr, ergriff ihre Hände, wiederholte ihren Namen. Ehe ich sie küssen konnte, zog sich die junge Krankenschwester entrüstet zurück.
»Das ist mir unbegreiflich!«, rief sie empört aus. Ich blinzelte und merkte, dass ich einen blödsinnigen Fehler begangen hatte. Aber immer noch konnte ich nur meinen Kopf schütteln und sagen: »Es ist erstaunlich – das ist mehr als eine bloße Ähnlichkeit! Du bist Linnell!«
»Das bin ich natürlich nicht.« Sie zeigte ein verwirrtes, kühles Lächeln. Dio lachte und sagte: »Es stimmt aber, Sie sehen der Pflegeschwester meines Mannes sehr ähnlich. Ganz außerordentlich ähnlich. Und wie seltsam, ausgerechnet hier auf Vainwal die Doppelgängerin einer nahen Verwandten zu treffen! Doch natürlich würde Linnell niemals herkommen, Lew, dazu ist sie zu konventionell. Kannst du dir vorstellen, dass Linnell diese Tracht anzieht?«
Also, das konnte ich nicht. Ich dachte an Linnell in ihrem schweren karierten Rock und gestickter Überjacke, das Haar in schimmernden braunen Zöpfen herunterhängend. Diese Frau trug eine weiße Jacke und eng sitzende Hosen … eine Darkovanerin in einem solchen Kostüm hätte Angst gehabt, Lungenfieber zu bekommen, und Linnell gar wäre vor Scham gestorben. Auf einem Abzeichen stand ein Name. Ich konnte die terranische Schrift jetzt einigermaßen lesen, nicht gut, aber besser als Dio. Langsam buchstabierte ich:
»K – a – t – h –«
»Kathie Marshall«, erklärte sie mit freundlichem Lächeln. Sie besaß sogar das Grübchen neben dem rechten Mundwinkel und die kleine Narbe am Kinn, die sich Linnell zugezogen hatte, als wir auf Armida-Land durch einen uns verbotenen Canon ritten und unsere Pferde gestürzt waren. Ich fragte: »Würden Sie mir sagen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, wie Sie zu dieser Narbe gekommen sind?«
»Nun, ich habe sie seit meinem zehnten Lebensjahr«, antwortete sie. »Ich glaube, es war ein Unfall mit einem Luftschlitten; die Wunde musste mit vier Stichen genäht werden.«
Ich schüttelte verblüfft den Kopf. »Meine Pflegeschwester hat genauso eine Narbe an der gleichen Stelle.« Aber Dio krümmte sich plötzlich wie vor Schmerz, und sofort war die Frau – bekannt-unbekannt, Linnell-Kathie – nur noch berufliche Fürsorge.
»Haben Sie die Zeit zwischen den Wehen gemessen? Gut. Kommen Sie, ich bringe Sie zu Bett …« Als Dio sich zu mir umdrehte und in plötzlicher Panik meine Hand fasste, versicherte sie: »Machen Sie sich keine Sorgen; Ihr Mann darf kommen und bei Ihnen bleiben, sobald der Arzt Sie sich angesehen und festgestellt hat, wie es mit Ihnen steht. – Keine Bange«, wandte sie sich an mich, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war genau der gleiche wie bei Linnell, ernst und süß und sanft. »Sie ist sehr gesund, und wir können eine Menge tun, selbst wenn das Baby zu früh kommt. Sie brauchen sich um Ihre Frau und um Ihr Kind nicht zu ängstigen.«
Keine Stunde später rief man mich in Dios Zimmer. Dio lag im Bett, gekleidet in ein steriles Krankenhaus-Gewand, aber die Umgebung war auf Vainwaler Art recht hübsch. Überall grüne Pflanzen, und hinter den Fenstern Muster aus schimmernden Regenbogen. Ich nahm an, dass es Laser-Hologramme waren. Sie waren angenehm zu betrachten und lenkten die Gedanken der werdenden Mutter von dem ab, was vor sich ging.
»So benimmt sich unser Coridom , wenn eine preisgekrönte Zuchtstute fohlen soll«, stellte Dio trocken fest. »Er streichelt sie und betüttelt sie und flüstert ihr tröstende Worte ins Ohr, statt
Weitere Kostenlose Bücher