Sheriff Tod
erste Stufe zu erreichen. Auf ihr blieb ich stehen und schaute in die Höhe. Die Treppenstufen verschwammen mit der Dunkelheit. Was am Ende lag, sah ich nicht, und auch von Pratt hörte ich nichts.
Er steckte noch dort oben auf der Galerie, davon mußte ich einfach ausgehen. Ich wollte nicht auf der Treppe bleiben, denn freiwillig würde er mir nicht entgegenkommen.
Das Holz der Stufen war im Laufe der Zeit nicht nur feucht, sondern auch weich geworden. Ich wußte sehr gut, daß ich die Treppe nicht geräuschlos hochgehen konnte. Er würde mich hören. Dann brauchte er nur am Ende zu warten und darauf zu lauern, daß sich mein Schatten abzeichnete.
Durch diese Rechnung wollte ich ihm einen Strich machen. Bevor ich mich bückte, schaute ich zurück.
Doreen Pratt hatte ihren Platz nicht verlassen, was auch gut war. Dann hörten wir Schreie.
Sehr schnell fanden wir heraus, daß sie unter dem Kirchenboden aufgeklungen waren. Dort würden wir die beiden lebenden Personen finden, sicherlich im Massengrab der zehn Leichen.
Auf Händen und Füßen bewegte ich mich vor. So flach wie möglich schob ich mich über die Kanten der Stufen hinweg. Doreen hatte mitbekommen, was ich wollte, und sie reagierte so prächtig, als wären wir beide ein eingespieltes Team.
Sie feuerte zweimal zur Galerie. Durch ihre Schüsse lenkte sie Sheriff Tod ab, und sie gab mir Gelegenheit, mich schneller nach oben zu bewegen. Als die beiden Schüsse verklungen waren, lag das Ende der Treppe vor mir, und draußen ertönte ein kräftiger Donnerschlag.
Die letzte Strecke war am gefährlichsten. Ich konnte nur hoffen, daß Doreen ihren Großvater abgelenkt hatte, so daß ich die nötige Zeit bekam.
Ich huschte hoch.
Plötzlich lag die Treppe hinter mir. Ich befand mich auf der Galerie, wo ich mich sofort umschaute und meine Blicke die verdammten Schatten durchdringen mußten.
Dann sah ich die Bewegung.
Er war es!
Spiegelnde Brillengläser mit aufgemalten Totenschädeln. Ich hörte ein wütendes Knurren und schoß. Der Schrei!
Sheriff Tod mußte direkt in meine Silberkugel hineingerannt sein. Ich sah ihn hochspringen, als wollte er zu einem grotesken Tanz ansetzen, aber er kam nicht weit, denn er brach auf der Stelle zusammen.
Doreen war Fachfrau genug, um am Klang der Waffe erkannt zu haben, wer da geschossen hatte. »John…?« rief sie fragend und leicht vibrierend in der Stimme. »Ist alles in Ordnung? Hast du ihn erwischt?«
»Scheint so.«
»Klasse. Soll ich kommen?«
»Nein, warte noch, ich sage dir Bescheid.«
Es war einfach zu dunkel gewesen, um genau feststellen zu können, was mit Pratt passiert war. Das würde in wenigen Sekunden anders sein, wenn ich bei ihm war.
Das Leben hatte mich gelehrt, vorsichtig zu sein. Mit gezogener Waffe näherte ich mich Duncan Pratt.
Draußen spielte die Natur verrückt.
Blitze zerteilten die Nacht, als würden sie die Dunkelheit hassen.
Gewaltige Donnerschläge folgten, als wollten sie tiefe Gräben in den Erdboden reißen.
Die Hölle hatte ihre Pforten geöffnet, und der Widerschein des Lichts huschte selbst durch die dunkle Scheibe des Fensters an der Rückseite der Galerie.
Sheriff Tod lag auf dem Rücken. Die Sonnenbrille vor den Augen. Blaß schimmerten die beiden Totenschädel auf den Gläsern. Mit der Rechten hielt er seinen Revolver fest, als wäre dies der letzte Rettungsanker für ihn. Das war er sicherlich nicht.
Ich zielte auf ihn, während ich ein Bein hob, um ihm die Waffe aus der Hand zu treten.
Ob es ein Fehler gewesen war oder nicht – nun ja, später ist man immer schlauer. Blitzartig wurde der Sheriff lebendig. Er drosch mir eine Handkante in die Kniekehle des Standbeins, und kein Mensch der Welt hätte dabei sein Gleichgewicht halten können.
Auch ich fiel zurück, ich krachte mit dem Rücken gegen das morsche Holz der Galerie, das diesem Druck nicht mehr standhielt. Ich hörte einen Schuß, wußte nicht, ob mich die Kugel erwischt hatte, denn ich befand mich auf dem Weg nach unten.
»John!« Doreens Stimme überschlug sich, als ich aufprallte, und gleichzeitig geschah noch etwas, denn über mir auf der Galerie zersplitterte eine Fensterscheibe.
Da mußte Sheriff Tod nach draußen gesprungen sein, was mir in diesem Augenblick völlig egal war, denn ich hatte mit mir selbst genug zu tun.
Es war mir zum Glück gelungen, den Körper während des Falls zu drehen und gleichzeitig zu strecken. So hatte ich das unverschämte Glück, mit den Füßen zuerst
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