Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
ist, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu bringen, dann geben Sie sicherlich zu, daß der Fall nicht gut für ihn aussieht.
Nun müssen wir uns fragen, zu welchem Zeitpunkt der Mord wirklich geschah. Bis um halb elf Uhr war die Dienerschaft noch im Haus beschäftigt; so konnte es gewiß nicht vor diesem Zeitpunkt sein. Um Viertel vor elf hatten sie sich alle auf ihre Zimmer zurückgezogen, mit Ausnahme von Ames, der in der Geschirrkammer war. Ich habe einige Versuche unternommen, nachdem Sie uns heute nachmittag
verlassen hatten, und habe herausgefunden, daß kein Geräusch, das MacDonald im Arbeitszimmer macht, in der Geschirrkammer zu hören ist, wenn dazwischen alle Türen geschlossen sind.
Mit dem Zimmer der Haushälterin verhält es sich dagegen etwas anders. Das Zimmer liegt nicht so weit den Korridor hinunter, und von dort konnte ich undeutlich seine Stimme hören, wenn er sehr laut wurde.
Der Knall eines Gewehrschusses ist in gewissem Maße gedämpft, wenn er aus so kurzer Entfernung
abgegeben wird wie zweifellos in diesem Fall. Aber auch wenn er nicht sehr laut war, müßte er in der Stille der Nacht leicht in Mrs. Aliens Zimmer zu hören gewesen sein. Wie sie uns selbst sagte, ist sie ein wenig schwerhörig, aber nichtsdestoweniger erwähnte sie bei ihrer Aussage, daß sie etwa eine halbe Stunde, bevor der Alarm gegeben wurde, eine Tür habe zuschlagen hören. Eine halbe Stunde vor dem
Alarm muß etwa Viertel vor elf gewesen sein. Für mich gibt es da gar keinen Zweifel, daß das kein Türenschlagen, sondern der Gewehrschuß war, was sie gehört hat, und dies der wirkliche Zeitpunkt des Mordes ist.
Wenn das so ist, dann müssen wir jetzt feststellen, was Barker und Mrs. Douglas - angenommen, sie sind nicht die eigentlichen Mörder - von Viertel vor elf, als der Knall des Schusses sie herunterbrachte, bis Viertel nach elf, als sie läuteten, um die Dienstboten zusammenzutrommeln, getan haben können. Was haben sie getan und warum haben sie nicht sofort Alarm geschlagen? Das ist die Frage, der wir
gegenüberstehen, und wenn wir darauf eine Antwort haben, sind wir der Lösung des Problems schon ein gutes Stück nähergekommen.«
»Ich bin auch davon überzeugt«, sagte ich, »daß es zwischen diesen beiden ein Einverständnis gibt. Sie muß ein herzloses Gechöpf sein, wenn sie wenige Stunden nach der Ermordung ihres Mannes über einen Scherz lachen kann.«
»Genau das meine ich auch. Als Ehefrau steht sie nicht gerade glänzend da, nicht einmal im Lichte ihres eigenen Berichts von dem, was geschehen ist. Ich bin kein begeisterter Verehrer des weiblichen
Geschlechts, Watson, wie Sie wissen, aber meine Lebenserfahrung hat mich gelehrt, daß es wenige
Ehefrauen gibt, die für ihren Mann noch etwas empfinden und sich durch das Wort eines ändern davon abhalten lassen, die Leiches ihres Mannes wenigstens zu sehen. Wenn ich je heiraten sollte, Watson, dann möchte ich doch hoffen, daß meine Frau so viel Gefühl noch für mich hat, daß nicht eine Haushälterin sie wegführen kann, wenn meine Leiche nur ein paar Meter von ihr entfernt liegt. Das war schlechte
Bühnenregie, denn selbst dem kaltschnäuzigsten Kriminalbeamten muß das Fehlen der üblichen
weiblichen Gefühlsausbrüche auffallen. Wenn auch sonst gar nichts zu finden gewesen wäre, dieser
Umstand allein hätte genügt, mich an ein vorher arrangiertes Komplott glauben zu lassen.«
»Dann sind Sie der festen Meinung, daß Mr. Barker und Mrs.Douglas des Mordes schuldig sind?«»Sie
haben immer eine entsetzlich direkte Art zu fragen«, sagte Holmes und schüttelte die Pfeife drohend in meine Richtung. »Sie schießen Ihre Fragen wie Kugeln auf mich ab. Wenn Sie es so sehen, daß Barker und Mrs. Douglas die Wahrheit übet den Mord wissen und zusammenhalten, um dieses Wissen zu
verheimlichen, dann kann ich Ihnen mit gutem Gewissen die Antwort darauf geben: Ich bin ganz sicher, daß sie das tun. Aber wenn Sie in ihnen die Mörder vermuten, so kann ich darauf nicht so eindeutig antworten. Lassen Sie uns für einen Augenblick die Schwierigkeiten betrachten, die da im Wege stehen.
Wir wollen einmal annehmen, daß dieses Paar durch die Bande schuldiger Liebe verbunden ist und
beschlossen hat, den Mann, der zwischen ihnen steht, zu beseitigen. Dies ist eine bloße Annahme, denn eine direkte Umfrage bei der Dienerschaft und anderen konnte diesen Verdacht nicht bestätigen. Im Gegenteil, sehr vieles spricht dafür, daß die Douglas einander
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