Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
zugetragen hatte. Er hatte den ganzen Tag im Herrenhaus verbracht, wo er sich mit seinen beiden
Kollegen beraten hatte, und kehrte gegen fünf Uhr mit einem gewaltigen Appetit auf einen >High Tea< zurück, den ich vorsorglich schon für ihn bestellt hatte. »Keine vertraulichen Mitteilungen, Watson, denn die können höchst unangenehm werden, wenn es zu einer Verhaftung wegen gemeinsam geplanten
Mordes kommt.«
»Meinen Sie, daß es dazu kommt?«
Er war in bester Stimmung. »Mein lieber Watson, wenn ich das vierte Ei vertilgt habe, werde ich in der Lage sein, Ihnen die ganze Situation klarzulegen. Ich sage nicht, daß wir sie schon ausgelotet hätten —
weit davon entfernt—, aber wenn wir erst die verschwundene Hantel gefunden haben...«
»Die Hantel?«
»Du meine Güte, Watson, ist es möglich, daß es noch nicht bis zu Ihnen gedrungen ist, daß der ganze Fall an der verschwundenen Hantel hängt? Nun, nun, Sie brauchen nicht gleich so niedergeschlagen zu sein, denn ganz unter uns, ich glaube nicht, daß Inspektor Mac oder der ausgezeichnete hiesige Praktiker die überwältigende Bedeutung dieses Umstandes erkannt haben. Eine Hantel, Watson! Stellen Sie sich einen Sportler mit nur einer Hantel vor! Malen Sie sich aus, wie ungleichmäßig die Muskeln ausgebildet
werden, und die drohende Gefahr einer Rückgratverkrümmung! Gräßlich, Watson, einfach gräßlich!«
Er saß da, hatte den Mund voller Toastbrot, und seine Augen blitzten übermütig, als er mich in meiner Begriffsstutzigkeit betrachtete. Der bloße Anblick seines ausgezeichneten Appetits war für mich ein Zeichen, daß er seines Erfolges sicher war. Denn ich erinnere mich noch sehr deutlich an Zeiten, wo er an Essen auch nicht einen Gedanken verschwenden konnte, während er tage- und nächtelang um die Lösung eines Problems rang und sein schmales, kühnes Gesicht bei der völligen geistigen Konzentration immer schmaler wurde. Endlich war er mit dem Essen fertig, setzte sich in die Kaminecke des alten
Dorfgasthofs, zündete seine Pfeife an und begann über den Fall zu sprechen, langsam und nicht sehr konzentriert, eher wie einer, der laut denkt, als wie jemand, der eine wohlbedachte Aussage macht.
»Eine Lüge, Watson - eine faustdicke, unverschämte Lüge -trat uns gleich an der Türschwelle entgegen!
Das ist unser Ausgangspunkt. Die ganze Geschichte, die uns Barker erzählt hat, ist eine Lüge. Aber Barkers Geschichte wird von Mrs. Douglas gestützt. Deshalb lügt auch sie. Sie lügen alle beide und sind sich einig. So, jetzt haben wir ganz klar folgendes Problem: Warum lügen sie, und was ist die Wahrheit, die sie mit solcher Mühe zu verbergen suchen? Wir wollen doch einmal versuchen, Watson, ob wir beide nicht hinter diese Lüge kommen und die Wahrheit rekonstruieren können.
Woher weiß ich, daß sie lügen? Weil alles eine ungeschickte Erfindung ist, die einfach nicht wahr sein kann. Überlegen Sie doch einmal! So wie man uns die Geschichte erzählt hat, hatte der Mörder, nachdem er den Mord ausgeführt hatte, weniger als eine Minute Zeit, den Ring, der unter einem anderen Ring saß, vom Finger des Toten zu ziehen, den anderen Ring wieder aufzustecken — was er sicherlich nicht getan hätte — und diese seltsame Karte neben sein Opfer zu legen. Das ist offensichtlich unmöglich, sage ich.
Sie können jetzt vorbringen, Watson — aber, mein Lieber, ich traue Ihrem Urteil soviel zu, daß Sie das nicht tun werden—, der Ring könnte fortgekommen sein, noch ehe er getötet wurde. Die Tatsache, daß die Kerze nur eine kleine Weile gebrannt hat, zeigt, daß da keine längere Unterhaltung stattfand. War Douglas, nach allem, was wir über seinen furchtlosen Charakter gehört haben, ein Mann, der ohne
weiteres seinen Ehering hergibt? Oder können wir uns vorstellen, daß er ihn überhaupt herausrückte?
Nein, nein, Watson, der Mörder war eine ganze Weile mit dem Toten allein, und zwar bei brennender Kerze. Dessen bin ich mir ganz sicher.
Die Todesursache war augenscheinlich der Gewehrschuß. Daher muß der Schuß eine ganze Weile eher
abgefeuert worden sein, als man uns erzählt hat. Da es aber in solchen Sachen keinen Irrtum geben kann, haben wir es darum hier mit einer Komplizenschaft von zwei Leuten zu tun, die den Schuß gehört haben, nämlich Barker und Mrs. Douglas. Wenn ich, um allem die Krone aufzusetzen, dann auch noch beweisen kann, daß der Blutfleck auf der Fensterbank von Barker selbst dort absichtlich angebracht worden
Weitere Kostenlose Bücher