Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
Garten einrahmten. An seinem äußersten Ende, das vom Haus am weitesten entfernt war, bildeten sie eine dichte, geschlossene Hecke. Auf der anderen Seite der Hecke, für die Augen eines jeden verborgen, der aus der Richtung des Hauses kam, befand sich eine Steinbank. Als ich mich dieser Stelle näherte, hörte ich Stimmen: Eine tiefe Männerstimme, die eine Bemerkung machte, und als Antwort das helle, perlende Gelächter einer Frau.
Einen Augenblick später war ich um die Hecke herum und erblickte Mrs. Douglas und Barker, bevor sie mich bemerken konnten. Ihr Betragen versetzte mir einen Schock. Im Eßzimmer war sie gefaßt und
zurückhaltend gewesen. Jetzt war alle gespielte Trauer verschwunden. Ihre Augen strahlten vor
Lebensfreude, und ihr Gesicht bebte noch vor Vergnügen über die Bemerkung ihres Begleiters. Er saß vornübergebeugt, die Hände gefaltet und die Unterarme auf die Knie gestützt, und auf seinem kühnen, edlen Gesicht lag ebenfalls ein Lächeln. Einen Augenblick später, als ich in ihr Blickfeld trat — aber es war eben doch einen Augenblick zu spät—, hatten sie ihre ernsten, traurigen Masken wieder aufgesetzt.
Sie wechselten rasch einige Worte, und dann erhob sich Barker und kam auf mich zu.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er höflich, »aber sind Sie nicht Dr. Watson?«
Ich verbeugte mich kühl und knapp, um zu zeigen, welchen Eindruck ihr Verhalten soeben auf mich
gemacht hatte.
»Wir dachten es uns schon, daß Sie es sein müßten, denn Ihre Freundschaft mit Mr. Sherlock Holmes ist ja allgemein bekannt. Möchten Sie nicht einen Augenblick herüberkommen und mit Mrs. Douglas
sprechen?«
Ich folgte ihm mit undurchdringlichem Gesicht. Ganz deutlich
stand mir jetzt wieder die am Boden liegende Gestalt des Ermordeten vor Augen. Und hier saßen schon wenige Stunden nach der Tragödie seine Frau und sein bester Freund zusammen und lachten miteinander hinter einem Busch in dem Garten, der ihm gehört hatte. Zurückhaltend begrüßte ich die Dame. Im
Eßzimmer hatte mir ihr Schmerz ins Herz geschnitten. Nun begegnete ich ihren sprechenden Augen mit kühlem Mißtrauen.
»Ich fürchte, Sie halten mich für hart und herzlos«, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln. »Das geht mich nichts an«, sagte ich.
»Vielleicht werden Sie mir eines Tages Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Sie erst verstehen...«
»Es ist doch überhaupt nicht nötig, daß Dr. Watson versteht«, fiel Barker rasch ein. »Wie er soeben gesagt hat, ist dies alles doch nicht seine Angelegenheit.«
»Ganz recht«, sagte ich, »und deshalb wollen Sie mich jetzt bitte entschuldigen.«
»Einen Augenblick, Dr. Watson«, rief die Frau mit flehender Stimme. »Ich habe eine Frage, die nur Sie mir beantworten können und die für mich von größter Wichtigkeit ist. Sie kennen Mr. Holmes und seine Beziehungen zur Polizei besser als jeder andere. Angenommen, es würde ihm etwas vertraulich mitgeteilt, ist er dann unbedingt genötigt, das der Polizei weiterzugeben?«
»Ja, das ist es, was wir gerne wüßten«, ließ Barker sich wieder vernehmen. »Arbeitet er selbständig oder gehört er ganz und gar zu ihnen?«
»Ich weiß wirklich nicht, warum ich Ihnen darüber Auskunft geben sollte.«
»Ich bitte Sie — ich flehe Sie an, Dr. Watson. Ich versichere Ihnen, daß Sie uns — daß Sie mir damit einen großen Dienst erweisen, wenn Sie uns helfen, in diesem Punkt klar zu sehen.«
In ihrer Stimme lag solche Aufrichtigkeit, daß ich einen Augenblick lang ihr frivoles Verhalten vergaß und nur bestrebt war, ihr den Gefallen zu tun.
»Mr. Holmes ist unabhängig bei seinen Untersuchungen«, sagte ich. »Er ist sein eigener Herr und läßt sich nur von seinem eigenen Urteil leiten. Gleichzeitig aber verhält er sich loyal den Beamten gegenüber, die am gleichen Fall arbeiten, und würde ihnen nichts verheimlichen, was dazu hilft, einen Verbrecher der Gerechtigkeit zu übergeben. Mehr kann ich nicht sagen und möchte Sie bitten, sich an Mr. Holmes selbst zu wenden, wenn Sie noch mehr wissen wollen.«
Damit zog ich meinen Hut und ging meiner Wege. Sie blieben hinter der schützenden Hecke sitzen. Als ich am anderen Ende der Hecke noch einmal zurückblickte, sah ich, wie sie immer noch sehr ernst
miteinander sprachen, und da sie mir nachsahen, war mir klar, daß unsere Unterredung der Gegenstand ihrer Erörterung war.
»Ich möchte keine vertraulichen Mitteilungen von ihnen«, sagte Holmes, als ich ihm berichtete, was sich
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