Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
Spreeside Verlag startete mit Die Nebelburg eine All-Age-Fantasy-Trilogie mit Romanen aus Linda Budingers Feder. Diese Geschichten um die Greifenritter von Al-noris werden auch als Audiobücher auf CD herauskommen.
DER STÄHLERNE STRAHL
Linda Budinger
Ich behielt die Wohnung in der Baker Street auch nach dem Tode meines Freundes an den Reichenbachfällen. Man mag das für sentimental halten, aber ich wusste, nichts würde ihn zurückbringen und niemand ihn ersetzen können. Warum also sollte ich mir die Bequemlichkeit der vertrauten Umgebung verwehren – zumal ich sie mir leisten konnte. Meine Angelegenheiten liefen gut, aber eine Arbeit wie die meinige wird ja zu jeder Zeit gebraucht. Ich war rege beschäftigt, und doch führte mich manch Gedankengang an jenen verhängnisvollen Tag zurück, an dem mein Freund mich getäuscht hatte, um sich meinem ärgsten Widersacher entgegenzustellen.
Watson hatte mich betäubt im Hotelzimmer zurückgelassen und war in meiner Kleidung Professor Moriarty entgegengetreten. Sein Motiv? Sicher war Watson der Ansicht gewesen, ich wäre nach den letzten Abenteuern in zu schlechter Verfassung für eine solche Konfrontation. Vielleicht hatte er gehofft, Moriarty ins Gewissen reden zu können – es würde zu dem großherzigen Doktor passen. Doch das war eine leere Hoffnung geblieben. Den Spuren konnte ich entnehmen, dass Dämmerung und Wasserschleier sogar den ‘Napoleon des Verbrechens’ hinreichend getäuscht hatten. In tödlicher Umklammerung waren er und der gute Watson in ihr Verderben gestürzt.
Die Leichen wurden erst Tage später geborgen.
Oft hatte ich mich schon dafür verflucht, am Vorabend der Katastrophe Watson gegenüber von Moriartys Plänen gesprochen zu haben. Aber auch das war müßig.
Ich breitete die Morgenzeitungen vor mir aus, um mich von den unerträglich werdenden Selbstvorwürfen abzulenken. Zu anderer Stunde würde ich diese Gedanken gebührend analysieren – aber nun hatte Inspektor Gregson mich um Mithilfe bei einem Fall gebeten, der London in Atem hielt.
Die Zeitungen waren voll davon und die Nachrichten verdrängten die Schlagzeilen über eine neu eröffnete Ägypten-Ausstellung: Mord am Viktoria Embankment! Grausiger Fund an der Themse. Parkmörder geht um.
Der Mörder schien es darauf anzulegen, die Polizei zu provozieren. Er schlug am hellichten Tage zu, gewissermaßen in Sichtweite von Scotland Yard , dessen neues Gebäude unweit der Tatorte gelegen war. Gregson hatte mich über die Einzelheiten ins Bild gesetzt. Insgesamt fünf Menschen waren in der letzten Woche bereits ermordet worden – durch einen einzelnen sauberen Stich ins Herz. Die Leichen hatte ich in den letzten drei Fällen persönlich untersucht. Die Tatwaffe war überall gleich – ein schmaler Metallgegenstand mit vierseitigem Querschnitt, vielleicht ein Stilett. Der Mörder war Rechtshänder, wie man anhand des Stichkanals sehen konnte. Andere Spuren als die an den Opfern gab es nicht. Ich hatte den Park selbst nach Spuren abgesucht, doch weder Fußabdrücke noch andere Hinweise auf den Mörder gefunden. Zeugenaussagen existierten keine. Sonderbar genug.
In den Victoria Embankment Gardens trieb sich allerhand Volk herum, das nicht mit der Polizei zusammenarbeiten wollte. Vielleicht würden die Leute ja offener zu einem alternden Seemann sprechen, der Lose verkaufte.
Das vertraute Gewicht von Watsons Revolver beulte die Tasche der alten Teerjacke aus, die einen Teil meiner Verkleidung darstellte.
Nicht einmal die Waffe hatte der Doktor damals zum Wasserfall mitgenommen. Wieder verdrängte ich den Gedanken an den Verstorbenen.
Der Park machte einen beschaulichen Eindruck. Sonnenfinger stachen durch die grüngoldenen Baumkronen und malten zittrige Kreise, die wie Fische aus einer anderen Welt über den Boden glitten. Angestellte verbrachten ihre Mittagspause in der Gartenanlage, ein Kindermädchen samt Schützling spazierte über die Wege. Mir fiel auf, dass die übliche Bettlerschar fehlte. Mitten am Tag waren sie wohl noch in den Straßen von London unterwegs.
Ein Dienstmann eilte mit raschen Schritten über den Pfad Richtung Victoria Street . Man konnte ihn leicht als verkleideten Polizisten erkennen. Gregson hatte angedeutet, dass der Park inzwischen gut bewacht würde. Zwei Beamte in Uniform hatten Position auf dem Rasen bezogen und behielten die Umgebung im Auge. Da man die Leichen nahe der Themse gefunden hatte, patrouillierte auf dem Fluss ein Polizeiboot. Die
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