Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
Hungerford-Bridge war gesperrt worden, um dem Mörder einen Fluchtweg zu verbauen.
Ich fühlte den Blick des einen Polizisten im Nacken, als ich mich dem Flussufer näherte und mich in der Nähe des Denkmals von Robert Burns aufstellte. Ich hielt Ausschau nach etwas, das ich erst genauer zu benennen wusste, sobald ich es entdeckt hatte. Leise gluckerte die Themse und ich hörte Big Ben die zwölfte Stunde schlagen. Spaziergänger tauchten kurz auf und verschwanden wieder hinter dicht belaubten Büschen oder den Kunstwerken, die die Flusspromenade schmückten.
Da ertönte ein Schrei. Augenblicklich wandten sich beide Polizisten in die Richtung, aus der der helle Ruf gekommen war. Der Dienstmann blieb wie vom Schlag getroffen stehen, dann rannte auch er los.
Ich schlenderte hinter den Männern her, um abzufangen, wer auch immer der Staatsmacht durchs Netz schlüpfte. Aufgeregte Stimmen wiesen mir den Weg. Doch da kamen die Bobbies bereits lachend zurück. „Also so was ...“, sagte der eine.
Ich drückte mich hinter einen Ast und ließ sie passieren. Die Frauenstimmen wurden deutlicher. Es war das Mädchen mit der Gouvernante. „Ich habe den Vogel gesehen, Miss Pearson. Ehrlich. Er war groß und sah komisch aus.“
„Aber Mary. So einen merkwürdigen Vogel gibt es in ganz England nicht. Und ich sehe hier weit und breit nur Amseln.“
„Vielleicht ist er ja aus dem Zoo ausgebrochen. Dann müssen wir ihn doch wieder einfangen.“
Sie kamen näher. Wie ich jetzt sehen konnte, war das Mädchen etwa acht Jahre alt und stemmte entrüstet die Hände in die Seite. „Ich habe den Vogel gesehen, und er hatte den Kopf eines ...“
„Widerrede gehört sich nicht für eine junge Dame. Beruhige dich, Mary, oder willst du, dass wir jetzt sofort nach Hause zurückkehren?“
„Wohlfahrtslose, die Damen?“, fragte ich, und beide blickten hoch.
Aufmerksam schob sich die Erzieherin vor das Mädchen. Sie hatte also von den Morden gehört und war dementsprechend vorsichtig.
Da eilte auch schon der schnaufende Dienstmann herbei. „Alles in Ordnung, Miss? Belästigt Sie dieser Kerl?“ Er deutete auf mich.
Der Erzieherin schien die Aufmerksamkeit peinlich zu sein. „Nein, es ist schon in Ordnung. Wir waren vorhin am Themseufer, um uns Cleopatra’s Needle anzuschauen. Ich glaube, Mary war davon etwas zu beeindruckt. Jetzt behauptet sie steif und fest, dass sie einen großen Vogel mit Menschenkopf gesehen hat.“ Sie lächelte verlegen. „Ich glaube, auf dem Obelisken war so ein Zeichen.“ Der Polizist in Zivil strich dem Mädchen über den Kopf. „Sollten wir den Vogel finden, sagen wir dem Zoo Bescheid“, brummte er gutmütig und nickte der Erzieherin zu. „Guten Tag noch, Miss.“ Damit drehte er sich um, nicht ohne mich noch skeptisch zu mustern.
Hatte die Polizei alle Bettler aus dem Park vertrieben, weil man sie verdächtigte? Ich krümmte mich unter dem Blick des Dienstmannes zusammen und nutzte die Gelegenheit, um in die Büsche zu spähen.
Aber tatsächlich waren dort weder ein ungewöhnlicher Vogel noch entsprechende Spuren zu sehen.
Dann setzte ich meine Runde durch den Park fort. Gregson hatte nicht zu viel versprochen. Ein- und Ausgänge wurden von Polizeikräften bewacht. Aber ein Loch in der Hecke musste den Ordnungshütern entgangen sein, denn auf der Bank gleich daneben sah ich eine Gestalt sitzen. Der Hausierer Sunders handelte mit Streichhölzern und – Gerüchten.
Langsam humpelte ich auf ihn zu und ließ mich neben ihm nieder.
„Tag, Sunders.“
„Tag, alter Fahrensmann. Lange nicht gesehen.“ Er hustete.
„Hab ‘nen Schiffskameraden verloren“, erklärte ich und musste die Trauer in meiner Stimme nicht vortäuschen.
„Tja, is’ nicht mehr alles wie früher. Seit der Sache mit Besenbinder-Jack, komm’ ich nicht mehr gern her. Aber die alten Knochen brauchen manchmal ‘n bisschen Ruhe.“
Ich hatte zweifellos in letzter Zeit meine Kontakte vernachlässigt.
„Was ist mit Jack?“, wollte ich wissen.
„Letzten Samstag hat ihn wer niedergestochen. Hat ihm die ganze Brust durchlöchert. Schrecklich. Der Alte is’ mit letzter Kraft auf die Straße gekrochen und da verblutet.“
Mein Herz schlug schneller. „Was sagt die Polizei dazu?“
„Der hat keiner was gesteckt. Hatten alle zu viel Angst, selber drangekriegt zu werden. Und bei ‘nem Armenbegräbnis is’ denen doch egal, wer in der Kiste liegt und warum.“
Ich verstand. Besenbinder-Jacks Stammplatz lag in
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