Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
Verfügung stehenden Auswertungen eine Tat rekonstruieren. Bereits bei Conan Doyle überführten Tabakkrümel und getrockneter Lehm Mörder und Erpresser. Conan Doyle hatte es jedoch schwerer als Hollywoods Drehbuchautoren heutzutage. Denn als der später für seine Verteidigungsschrift des Burenkrieges geadelte Schotte seine Holmes-Storys schrieb, war die Gerichtsmedizin noch längst nicht so weit entwickelt wie heute und befand sich im Umbruch (wie innovativ Conan Doyles’ Spurensicherung um 1900 wirklich war, zeigt das empfehlenswerte Büchlein Die Wissenschaft bei Sherlock Holmes von E. J. Wagner, Verlag Wiley-VCH, 2008).
Tote leben länger
„Es ist die Kunst eines großen Schriftstellers, den Leser nach mehr verlangen zu lassen“, sagt Anthologie-König Mike Ashley im Vorwort zu seiner ebenso abwechslungsreichen wie umfangreichen, 750 Seiten starken Kurzgeschichten-Sammlung Sherlock Holmes und der Fluch von Addleton (Lübbe, 2003). „Und Dr. Watson war so ein Schriftsteller“ – womit natürlich Conan Doyle gemeint ist. Doch der Erfolg von Holmes gefiel nicht allen Menschen. Am wenigsten, so scheint es manchmal, Sir Arthur Conan Doyle selbst, der sich von seiner Schöpfung beinahe schon bedroht fühlte, obgleich sie ihm einen guten Lebensstandard und ein hohes Ansehen sicherte. Allerdings befand Conan Doyle nicht zu unrecht, dass Holmes sein übriges Schaffen in den Schatten stellte und ihn zeitlich daran hinderte, sich seinen geliebten historischen Romanen zu widmen. Also tat Conan Doyle im Dezember 1893 das Unvermeidliche und ließ Sherlock Holmes – entgegen der Ratschläge seiner Mutter, die für den Schotten eine besonders wichtige Person war – in der Story Das letzte Problem zusammen mit Holmes’ Erzfeind Professor Moriarty (dem „Napoleon des Verbrechens“, wie Holmes zu sagen pflegt) am Schweizer Reichenbachfall in den Tod stürzen.
Die Wirkung dieses literarischen Todes war damals in etwa so, als hätte J. K. Rowling Harry Potter nach Band vier einfach abgemurkst.
Die Entrüstung war gigantisch. Es hagelte nur so Protestbriefe. Conan Doyle bekam fürstliche Angebote von britischen und amerikanischen Verlagen, die ihn zu einer Wiederaufnahme der Chroniken des Detektivs bewegen wollten. Conan Doyle verlangte horrende Summen, um seine Ruhe zu haben – doch nicht einmal das hielt die Verleger davon ab, ihn weiter zu bedrängen. Erst recht nicht die geprellten, hungrigen Leser. Die Welt, so schien es, brauchte ihren Sherlock Holmes dringender denn je. Am Ende musste Conan Doyle Holmes auch tatsächlich wieder auferstehen lassen. Das geschah zunächst ab August 1901 in der Fortsetzungsgeschichte Der Hund der Baskervilles im Strand Magazine , ehe die berühmteste und am häufigsten verfilmte Holmes-Geschichte nach Abdruck des letzten Kapitels im April 1902 in Roman- bzw. Buchform gesammelt wurde. Die Geschichte um den Monsterhund spielt jedoch 1889 – chronologisch also vor Holmes’ Tod. Die Leser interessierte das nicht. Sie pilgerten in Scharen zu den Verkaufsständen und fieberten den Fortsetzungen der Story aus dem atmosphärischen Dartmoor entgegen. Den Tod seines Protagonisten revidierte Conan Doyle schließlich 1903 in der Story Das leere Haus , in der Watson sogar in Ohnmacht fällt, als der tot geglaubte Holmes plötzlich vor ihm steht. Holmes erklärt seinem alten Freund hier, dass er die Welt – und damit leider auch Watson – in dem Glauben gelassen habe, dass er tot sei, um den Augen seiner vielen Feinde für eine Weile zu entkommen.
Unendliche Geschichte
Am Ende standen 56 Kurzgeschichten und 4 Romane für Dr. Watson beziehungsweise Sir Arthur Conan Doyle zu Buche. Doch auch nach dessen Tod 1930 war noch kein Ende der Erfolgsstory in Sicht.
Schon zu Conan Doyles Lebzeiten gab es Annäherungen anderer Autoren an Holmes, der damals aber noch durch das Urheberrecht geschützt war. Mark Twain etwa schrieb eine – nicht besonders gute – Verballhornung und machte sich über den Detektiv lustig. Auch A. A. Milne, der Vater von Pu dem Bären, schrieb mit Der Raub des Sherlocks 1903 eine Burleske, gleichzeitig die erste professionelle Arbeit, die von Milne veröffentlicht wurde. Andere Autoren, die sich Holmes humoristisch näherten, waren John Kendrick Bangs ( Shylock Holmes: Seine posthumen Memoiren ) und Peter Todd ( Die Abenteuer des Herlock Sholmes ). Nach Conan Doyles Tod blühte die holmesianische Pastiche-Kultur weiter
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