Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
Rätsels, das wir noch nicht einmal ansatzweise durchschauten.
Trotz oder gerade wegen der unruhigen Nacht, in der wir nur wenig Schlaf gefunden hatten, verspeisten wir unser Frühstück mit großem Appetit. Selbst Holmes ließ es sich ausgiebig schmecken und aß gerade seine dritte Portion Rührei mit Speck, als mir der Geduldsfaden riss. „Jetzt rücken Sie endlich mit der Sprache heraus, Holmes! Was hat es mit diesem sonderbaren und schrecklichen Fall auf sich?“ Mein Freund und Gefährte kicherte, schob sich die letzte Gabel mit Rührei in den Mund und lehnte sich schließlich zurück, dabei fixierte er jeden einzelnen, der am Tisch sitzenden Personen bevor er zu sprechen begann: „Leider komme ich dieses Mal nicht umhin, zur Klärung des Falles bisweilen der Spekulation Tür und Tor zu öffnen.
Aber der Reihe nach. Ich war weit davon entfernt bereits in der Baker Street die Lösung des Falles in Händen zu halten, aber bereits der Besuch bei Pater Hamwoth öffnete mir die Augen. Und bei der Besichtigung des Ortes, wo die kleine Clara Jenkins verschwunden ist, fügten sich weitere Steinchen in das Mosaik ein. Außerdem war ich heute in aller Frühe, vor dem ersten Hahnenschrei, bereits mit Mrs Amber, der Köchin von Sir Richard Huntington, auf Huntington Manor. Der kluge Aristokrat tut gut daran sich der Loyalität seiner Bediensteten zu versichern, denn niemand anderer ist über die Intrigen und Zwistigkeiten innerhalb der Familie besser informiert. Mrs Amber befindet sich bereits seit Jahren im Dienst der Huntingtons, und auch Mary war mir eine große Hilfe. So konnte ich ein Tagebuch von Rosa Huntington sicherstellen, das sie bereits in ihrer Kindheit zu führen begann. Demnach litt sie an der berüchtigten Fallsucht, was im Mittelalter häufig als Zeichen für Besessenheit galt. So sah es wohl auch die Zigeunersippe von Rosa, zumindest ihr Vater, der grausige Rituale mit seiner Tochter abhielt. Ich habe Grund zu der Annahme, dass er sich wohl auch in anderer Hinsicht an seinem eigenen Fleisch und Blut vergangen hat.“
Bei diesen Worten legte Pater Hamwoth geräuschvoll sein Besteck zur Seite und schob den Teller von sich. Sein Gesicht war kreidebleich.
„All dieser Schrecken führte bereits in jungen Jahren zu einer temporären Verwirrung des Geistes von Rosa Huntington. Wie Sie vielleicht wissen, ist gerade unter den südosteuropäischen Zigeunersippen der Werwolf-Mythos stark verbreitet. Der feste Glaube vom Teufel besessen zu sein, gepaart mit den Gräueltaten des Vaters führte zu einer Spaltung ihrer Persönlichkeit, die sich erst im Lauf der Jahre immer mehr zurückbildete. Schließlich konnte Rosa in England ein fast normales Leben führen. Doch offenbar fühlte sie sich insgeheim zu Männern hingezogen, die ihrem Vater nur allzu sehr ähnelten. Mrs Amber und Mary berichteten mir, dass Sir Richard seiner Frau nicht selten Gewalt antat. Das führte unweigerlich dazu, dass Rosas zweite Persönlichkeit wieder die Oberhand gewann. Diese forderte alle vier Wochen, bei Vollmond ihren Tribut und so blieb Sir Richard nichts anderes übrig, als seine Gemahlin die Vollmondnächte über im Keller anzuketten. Mr Craven, sein treuer Diener seit Jugendtagen, war sein Vertrauter bei dieser Tat. Was Sir Richard jedoch nicht wusste, war, dass Craven und Rosa eine stürmische Liebesaffäre hatten. Doch er bekam es heraus. Und wie der Zufall es wollte, geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Rosa gelang es, vor vier Wochen aus ihrem Gefängnis auszubrechen, wo sie übrigens über die Schafe herfiel, und wenige Tage danach erfuhr Sir Richard von dem Betrug.
Teuflisch, wie sein Verstand nun einmal war, ersann er einen perfiden Racheplan. In der ersten Vollmondnacht lockte er Craven in den Park, wo er die Doggen auf ihn hetzte, die Sir Richard blind gehorchten. Die abergläubischen Dorfbewohner und ihr Gerede vom Werwolf kamen Sir Richard dabei gerade recht. Er ließ die Ketten seiner Frau ein wenig lockerer und ermöglichte ihr, abermals die Flucht, in der Hoffnung, sie würde weitere Bluttaten begehen und dabei gesehen werden. Ein schrecklicher Umstand, dass ihr dabei die kleine Clara Jenkins zum Opfer fiel. In ihrer rasenden Tobsucht, brachte Rosa die Kleine nicht nur um, sondern verspeiste sie zum Teil auch, was ihre plötzlich auftretenden Bauchschmerzen erklärt.“
„Moment, Holmes“, warf ich ein, „Wenn Clara Jenkins Rosa zum Opfer fiel, wo ist dann die Leiche? Lady Huntington wird sie sicher nicht mit
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