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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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offenbar verletzten Herrn gekommen sei, um mich zu sprechen. Ich eilte die Treppe hinunter, da ich vermutete, es könne sich wieder um einen Eisenbahnunfall handeln, bei dem rasche Hilfe notwendig sei. Mein alter Freund kam mir vor dem Zimmer schon entgegen.
    »Ich hab ihn hergebracht«, flüsterte er, mit dem Daumen über die Schulter deutend, »den hätten wir sicher.«
    »Was fehlt ihm denn?«, fragte ich, denn das sonderbare Benehmen des Bahnbeamten verriet mir, dass es eine ganz besondere Bewandtnis mit dem Verletzten haben musste, den er so sorglich in mein Zimmer gesperrt hatte.
    »Es ist ein neuer Patient«, raunte er mir in seiner treuherzigen Art leise zu. »Ich hielt es für schlauer, ihn gleich selbst herzubringen, so konnte er mir nicht mehr entwischen. Nun kann er nicht mehr weg. Aber jetzt muss ich gehen, Doktor, die Pflicht ruft.« Und fort war er, ehe ich noch Zeit gefunden hatte, ihm für diese gutgemeinte Belebung meiner gar nicht beabsichtigten Praxis zu danken.
    Im Empfangszimmer fand ich einen Herrn am Tisch sitzen, der einen schlichten, bräunlichen Anzug trug, seine einfache Tuchmütze hatte er auf die dort ausgelegten Bücher gelegt. Eine seiner Hände war in ein völlig mit Blut durchtränktes Taschentuch gewickelt. Er war vielleicht 25 Jahre alt; sein Gesicht war ernst und männlich, aber so bleich, dass es mir den Eindruck machte, als wenn er eben eine schwere Nervenerschütterung durchgemacht hätte, die er trotz aller Anstrengung noch nicht überwinden konnte.
    »Verzeihen Sie die frühe Störung, Herr Doktor«, sagte er, »ich habe in dieser Nacht einen ernsten Unfall gehabt. Ich kam heute Morgen mit dem Zug hier an und erkundigte mich bei einem Bahnbeamten, wo ich einen Arzt finden könnte. Dieser Herr hatte die Güte, mich hierher zu begleiten. Ich übergab dem Mädchen meine Karte, doch wie ich sehe, liegt sie noch dort auf dem Tischchen.«
    Ich nahm sie auf und las Victor Hatherley, Ingenieur, Victoria Street 16a III. Das war also Name, Beruf und Wohnung meines Morgenbesuches. Dann setzte ich mich zu ihm. »Sie sind also die Nacht durchgefahren?«, fragte ich. »Das ist gewöhnlich recht ermüdend und langweilig.«
    »Oh, in diesem Fall trifft das nicht zu«, sagte er, und dann lachte er so laut und gellend, dass er sich im Stuhl zurückwarf und sich die Seiten halten musste. Es lag etwas Krankhaftes in dieser übertriebenen Heiterkeit, das erkannte ich sofort. »Hören Sie auf«, rief ich, »nehmen Sie sich doch zusammen!« Er hatte einen regelrechten hysterischen Anfall, wie er zuweilen bei sehr starken Naturen vorkommt, die eine große Aufregung hinter sich haben.
    Erst allmählich beruhigte er sich, und nun wurde er dunkelrot vor Verlegenheit.
    »Ich habe mich schön lächerlich gemacht vor Ihnen«, keuchte er.
    »Durchaus nicht. Bitte, nehmen Sie.« Ich gab ihm etwas Kognak mit Wasser zu trinken.
    »Das tut wohl«, sagte er. »Und nun haben Sie vielleicht die Güte, Herr Doktor, und sehen sich einmal meinen Daumen an oder vielmehr die Stelle, wo er gesessen hat.« Er band das Tuch ab und hielt mir die Hand entgegen, deren Anblick selbst mich erschütterte. Neben den vier ausgestreckten Fingern war statt des Daumens nur eine fürchterlich rote, schwammige Fläche. Er musste bis zur Wurzel abgehackt oder abgerissen worden sein.
    »Das ist ja eine furchtbare Wunde, Sie müssen einen bedeutenden Blutverlust gehabt haben.«
    »Oh ja«, antwortete er. »Ich wurde sofort ohnmächtig, nachdem es geschehen war, und muss wohl längere Zeit besinnungslos gelegen haben. Ich blutete noch, als ich wieder zu mir kam, und umschnürte deshalb mein Handgelenk mit dem Taschentuch, das ich mit einem Holzpflock möglichst fest drehte.«
    »Das war sehr richtig. – Die Wunde wurde jedenfalls durch ein schweres und scharfes Instrument verursacht?«
    »Durch eine Art Schlächterbeil.«
    »Vermutlich ein unglücklicher Zufall?«
    »Oh nein, ganz und gar nicht.«
    »Also ist es mit Absicht geschehen?«
    »Sehr richtig geraten.«
    »Aber das ist ja fürchterlich!«
    Ich wusch die Wunde aus und legte dann einen antiseptischen Verband an. Er zuckte nicht mit der Wimper und biss sich nur zuweilen auf die Lippen.
    »Wie fühlen Sie sich jetzt?«, fragte ich nach beendeter Arbeit.
    »Es ist mir jetzt wieder viel besser. Ich war wirklich dem Umsinken nahe, aber ich habe auch recht viel durchgemacht.«
    »Vielleicht wäre es richtiger, Sie würden jetzt nicht davon sprechen. Es greift Sie sicher sehr

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