Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
nichts. In dem Augenblick, als Holmes Licht machte, vernahm ich zwar ein sanftes, helles Pfeifen, aber bei der plötzlichen Helle, die meine müden Augen traf, war ich nicht imstande zu unterscheiden, auf was mein Freund so grimmig hineinschlug. Doch bemerkte ich wohl, dass er totenblass war und Entsetzen und Abscheu sich in seinen Zügen malten.
    Jetzt hatte er aufgehört zu schlagen und blickte noch zu dem Luftloch empor, als plötzlich aus der nächtlichen Stille der schauerlichste Schrei hervordrang, den ich je vernommen habe. Immer lauter und lauter schwoll derselbe an; Schmerz, Angst und Wut – das alles klang vereint aus dem grässlichen, heiseren Laut an unser Ohr. Weit drunten im Dorf, ja sogar in dem entlegenen Pfarrhaus fuhren – so sagte man uns später – bei dem Schrei die Schläfer von ihrem Lager auf. Uns stockte vor Entsetzen der Atem, und starr blickten wir einer den anderen an, bis auch der letzte Widerhall in der tiefen Stille erstorben war.
    »Was mag das bedeuten?«, brachte ich mühsam hervor.
    »Das bedeutet, dass alles vorüber ist«, gab Holmes zur Antwort, »und vielleicht ist es schließlich am besten so. Nehmen Sie Ihre Pistole zur Hand, dann wollen wir uns in Dr. Roylotts Zimmer begeben.«
    Mit leichenblassem Gesicht steckte er die Lampe an und schritt voran auf den Gang hinaus. Zweimal klopfte er an des Doktors Zimmertür, ohne von drinnen Antwort zu erhalten. Nun drückte er die Klinke auf und trat ein, ich mit gespannter Pistole dicht hinter ihm.
    Ein eigentümlicher Anblick bot sich hier unseren Augen. Auf dem Tisch stand eine Blendlaterne, aus deren halbgeöffnetem Türchen ein greller Lichtstrahl auf den Eisenschrank fiel, dessen Tür weit offen stand. Neben dem Tisch auf dem Holzstuhl saß Dr. Roylott in einem langen grauen Schlafrock, aus dem unten seine bloßen Knöchel hervorschauten, während seine Füße in roten türkischen Pantoffeln steckten. Auf seinem Schoß lag die Hundepeitsche mit der langen Schleife, die uns am Tag in die Augen gefallen war. Sein Kinn war aufwärtsgezogen, und seine glasigen Augen starrten schauerlich nach einer Ecke der Stubendecke empor. Um die Stirn hatte er ein eigentümliches gelbes Band mit bräunlichen Tupfen, das anscheinend fest um seinen Kopf gewunden war. Bei unserem Eintreten gab er keinen Laut von sich und rührte sich nicht.
    »Das Band! Das getupfte Band!«, flüsterte Holmes.
    Ich tat einen Schritt vorwärts. Auf einmal begann der eigentümliche Kopfschmuck sich zu bewegen, und mitten aus den Haaren des Dasitzenden erhob sich der platte, spitzige Kopf und der aufgeblasene Hals einer gräulichen Schlange.
    »Es ist eine Sumpfotter!«, rief Holmes aus. »Die giftigste aller indischen Schlangen. Zehn Sekunden nach ihrem Biss lebte er schon nicht mehr. Hier ist in Wahrheit die Missetat auf ihren Urheber zurückgefallen, und der Verbrecher stürzte selbst in die Grube, die er anderen gegraben. Wir wollen das Tier vor allem wieder in seinen Behälter tun; dann können wir Miss Stoner nach einem sicheren Zufluchtsort bringen und die Behörde von dem Vorgefallenen in Kenntnis setzen.«
    Bei diesen Worten nahm er die Peitsche geschwind der Leiche vom Schoß, warf die Schleife der Schlange um den Hals und zog sie von ihrem struppigen Lager weg. Dann trug er sie auf Armeslänge vor sich her zum Schrank und verschloss diesen wieder.
    Dies ist der wahre Hergang beim Tod des Dr. Grimesby Roylott von Stoke Moran. Die gegenwärtige Erzählung hat sich bereits über Gebühr ausgedehnt; ich will es mir deshalb ersparen, noch ausführlich zu berichten, wie wir die traurige Kunde dem entsetzten Mädchen mitteilten, als wir es mit dem Frühzug in die Obhut der guten Tante nach Harrow brachten, und wie die Behörde auf dem Weg ihres langsamem Verfahrens endlich zu dem Schluss gelangte, dass der Doktor sein plötzliches Lebensende durch unvorsichtiges Spielen mit einem gefährlichen Lieblingstier verschuldet habe. Das wenige, was ich über den Fall noch weiter erfuhr, teilte mir Holmes unterwegs auf der Heimfahrt am nächsten Tag mit.
    »Ich war«, erklärte er mir, »zu einer gänzlich irrigen Schlussfolgerung gelangt, woraus Sie sehen, wie gefährlich es stets ist, mein lieber Watson, seine Schlüsse auf ungenügender Grundlage aufzubauen. Die Anwesenheit der Zigeuner und die doppelsinnige Äußerung der unglücklichen Julia, durch die sie zweifellos den Eindruck bezeichnen wollte, den die Gestalt der Schlange im Schein des Zündhölzchens auf ihr Auge

Weitere Kostenlose Bücher