Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Rückkehr unter friedlicheren Verhältnissen wieder in Besitz zu nehmen.‹
›Mein Urahne, Sir Ralph Musgrave, war einer der angesehensten Kavaliere und die rechte Hand Karls II. während seiner Irrfahrten in der Fremde‹, sagte mein Klient.
›Wirklich? – Nun, dann hätten wir ja das Glied, das uns noch gefehlt hat. Ich muss Ihnen Glück wünschen, dass Sie – freilich auf tragische Art – in Besitz eines Schatzes gekommen sind, der, außer seinem großen wirklichen Wert, noch als geschichtliche Merkwürdigkeit eine ganz besondere Bedeutung hat.‹
›Was ist es denn?‹, stieß er verwundert heraus.
›Nichts Geringeres als die alte Krone von England.‹
›Die Krone?‹
›Jawohl. Sie wissen ja, wie es in dem Katechismus heißt – wie lauten doch die Worte? – ›Wem gehörte sie?‹ ›Dem, der nicht mehr ist.‹ Das war nach Karls Hinrichtung. – ›Wer soll sie haben?‹ ›Der, welcher kommt.‹ Das deutet auf Karl II., dessen Thronbesteigung man schon voraussah. Es ist wohl außer Zweifel, dass dies formlose und zerbrochene Diadem einst die Stirn der königlichen Stuarts geschmückt hat.
›Und wie kam es in den Weiher?‹
›Das ist eine Frage, die nicht so schnell zu beantworten ist‹, erwiderte ich und legte ihm dann die lange Reihenfolge von Beweisen und Vermutungen vor, die sich mir aufgedrängt hatten. Die Dämmerung brach herein, und der Mond glänzte hell am Himmel, bevor ich mit meinem Bericht zu Ende war.
›Wie kam es aber, dass Karl bei seiner Rückkehr die Krone doch nicht erhielt?‹, fragte Musgrave und steckte das Kleinod wieder in den Leinensack.
›Dies ist der einzige Punkt, der wahrscheinlich immer unaufgeklärt bleiben wird. Vermutlich war der Musgrave, der um das Geheimnis wusste, in der Zwischenzeit gestorben und hatte seinen Nachkommen die schriftliche Anweisung hinterlassen, welcher er jedoch aus irgendeinem Grund keine Erläuterung beigefügt hat. Von diesem Tag an ist das Schriftstück von Vater auf Sohn vererbt worden, bis es endlich einem Mann in die Hände fiel, der seine rätselhafte Bedeutung zu entziffern verstand, und als er den Schatz heben wollte, das Wagnis mit seinem Leben büßen musste.‹ –
Das ist die Geschichte von dem Katechismus der Musgraves, Watson. Die Krone wird noch in Hurlstone aufbewahrt, doch hat man der Familie bei Gericht Schwierigkeiten gemacht, und sie musste eine bedeutende Summe zahlen, bevor man ihr gestattete, das Kleinod zu behalten. Wenn Sie einmal dort in die Gegend kommen und sich auf mich berufen wollen, wird man Ihnen die alte Krone mit Vergnügen zeigen. – Von dem Weib hat man nichts wieder gehört; sie ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, in irgendein überseeisches Land entflohen und hat die Erinnerung an ihr Verbrechen mitgenommen.«
D IE G UTSHERREN VON R EIGATE
Im Frühling 1887 hatte mein Freund Sherlock Holmes derartige Anstrengungen durchgemacht, dass es geraumer Zeit bedurfte, ehe er wieder zu Kräften kommen konnte. Es handelte sich damals um die Riesenpläne des Barons Maupertuis und die verwickelte Angelegenheit der Holland-Sumatra-Gesellschaft, bei der jedoch politische und finanzielle Rücksichten eine zu bedeutende Rolle spielten, als dass sie sich zur Aufnahme in diese Sammlung eignete.
Die Umstände brachten es aber mit sich, dass Holmes infolgedessen mit einem eigentümlichen Problem in Berührung kam, das ihm Gelegenheit gab, im Kampf gegen das Verbrechen, den er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, eine ganz neue Waffe in Anwendung zu bringen.
Es war, wie ich aus meinem Notizbuch weiß, am 14. April, als ich durch eine Depesche aus Lyon die Nachricht erhielt, Holmes liege im Hotel Dulong krank danieder. Ich reiste sofort ab und stand schon vierundzwanzig Stunden später an seinem Lager, wo ich mich glücklicherweise sogleich überzeugen konnte, dass die Symptome der Krankheit nicht allzu gefährlich waren. Selbst seine eiserne Konstitution vermochte die Last nicht auszuhalten, die er sich seit Monaten aufbürdete. Während dieser Zeit hatte er seine Nachforschungen unablässig betrieben, täglich mindestens fünfzehn Stunden gearbeitet und sich oft, wie er mir versicherte, fünf Tage hintereinander ausschließlich der ihm gestellten Aufgabe gewidmet. Der großartige Erfolg seiner Bemühungen konnte die Folgen einer so furchtbaren Überanstrengung nicht von ihm abwenden; während ganz Europa vom Ruhm seines Namens widerhallte und er von allen Seiten mit Dankschreiben und Glückwunschdepeschen
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